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Archiv-Artikel

Wer war der Hausfriedensbrecher?

„Grundsätzliche Rechtsfragen“: Das Hanseatische Oberlandesgericht muss sich mit der Räumung des Bauwagenplatzes Wendebecken im September vergangenen Jahres befassen. Der Musterprozess ist in dieser Woche eröffnet worden

BewohnerInnen am Tag der Räumung noch im Besitz des Hausrechts

von Kai von Appen

Für Heike Born (Name geändert) ist das Urteil des Barmbeker Amtsgerichts eigentlich glimpflich ausgefallen: Verwarnung von 20 Tagessätzen à 10 Euro unter Strafvorbehalt. Lässt sie sich zwei Jahre lang nichts zu Schulden kommen, dann ist die Sache Schnee von gestern und Born braucht die 200 Euro nicht zu berappen. Dennoch wird ihr Verfahren wegen Hausfriedensbruch anlässlich der Räumung des Bauwagenplatzes Wendebecken am 8. September 2004 nun zum „Musterprozess“ avancieren und das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) in „Sprungrevision“ beschäftigen. Darauf hatten sich Staatsanwaltschaft und die Verteidiger der 27 Mitangeklagten verständigt.

Es gehe bei dem Verfahren „nicht um das eigentliche Geschehen, sondern um grundsätzliche Rechtsfragen“, begründet Rechtsanwalt Dirk Audörsch den Schritt. Er und seine Kollegin Barbara Eder werden das Musterverfahren vor dem Obersten Hamburger Gericht führen. Alle anderen Verfahren ruhen solange, die zwei wegen ergangener Urteile anhängigen Berufungen vor dem Landgericht (LG) werden ausgesetzt.

Dabei geht es um die entscheidende Kernfrage: Wer hat damals bei der Räumung des Bauwagenplatzes eigentlich Hausfriedensbruch begangen? Die BewohnerInnen mit ihren FreundInnen, die sich für das weitere Wohnen auf dem Grundstück eingesetzt haben – oder aber Stadt und Polizei, die durch das eigenmächtige Betreten des Platzes sowie die Festnahme von PlatznutzerInnen ohne gültigen Rechtstitel gegen Zivilrecht verstießen.

Für die beiden Juristen war zum Zeitpunkt der Räumung noch immer der „Verein Mobiles Wohnen in Barmbek“ Inhaber des Hausrechts. Zwar hatte die Stadt durch die Finanzbehörde einen Strafantrag gestellt und das Bezirksamt Nord eine Allgemeinverfügung zum Entfernen der zum Wohnen geeigneten Wagen erlassen. Das Entfernen von Personen oder ein Übergang des Hausrechts in die Hände der Stadt war in der Verfügung jedoch nicht enthalten. „Insoweit handelt es sich um ein zivilrechtliches Mahnschreiben“, sagt Audörsch, „woraus keine Vollstreckung möglich ist.“

Selbst in der Rechtsabteilung der Polizei herrschte damals offenkundig die Auffassung, dass es sich bei dem Verbleib der BewohnerInnen auf dem Platz um keine „Besetzung“ handele, aus der ein Hausfriedensbruch begründet werden könnte. Sondern dass aus der Formel „kein Ersatzgrundstück – kein Grund zum umziehen“ vielmehr abzuleiten sei, dass der Verbeib auf dem Grundstück ausdrücklich unter Berufung auf den alten Vertrag erfolgte, obwohl dieser ausgelaufen war.

Vermieter oder Verpächter dürfen aber ohne Zustimmung des Mieters oder Pächters grundsätzlich Wohnungen oder Grundstücke weder selbst betreten noch anderen – in dem Fall Bezirksamts-Mitarbeitern und der Polizei – den Zutritt gestatten. Dieses gelte nach gängiger Rechtssprechung, solange der Mieter das Objekt im Besitz hält – sogar wenn der Vertrag gekündigt ist. „Ein Hausfriedensbruch“, belehrt Audörsch, „ist auch das eigenmächtige Ausräumen einer ordnungsgemäß gekündigten Wohnung durch den Vermieter, deren fristgerechte Räumung der Mieter zugesagt hatte, dann aber nicht eingehalten hatte.“

Weil sie den Wunsch auf Verbleib unmissverständlich artikuliert hatten, seien die BewohnerInnen des Wendebeckenplatzes am Tag der Räumung trotz abgelaufenen oder aufgehobenen Mietvertrags noch Besitzer des Hausrechts gewesen, referiert Audörsch die Rechtsprechung. Zumindest so lange, bis die Meinungsverschiedenheiten der Vertragsparteien und die gegenseitigen Ansprüche durch ein Gericht geklärt worden seien. Zudem hatte der Verein die Platzmiete für den Monat September ordnungsgemäß überwiesen, die von der Finanzbehörde auch angenommen und einbehalten worden ist.

Dass einige NutzerInnen ihr Wohnrecht auf dem Wendebecken aufgegeben haben könnten, indem sie getreu der Allgemeinverfügung die zum Wohnen nutzbaren Wagen entfernten, argumentiert Audörsch weiter, sei nicht dahingehend zu werten, dass damit der Wohnanspruch aufgegeben werden sollte. Die Betroffenen hätten vornehmlich angesichts der angekündigten Räumungsszenarien ihre Wohnungen auf vier Rädern vor Beschädigungen schützen wollen. Audörsch: „Es war gerade nicht so, dass das weitere Wohnen dort nicht mehr beabsichtigt war.“ Zu diesen kniffligen Fragen muss sich nun das OLG den Kopf zerbrechen.