: Der Stau und das Kind
Die Industrie der unerfüllten Wünsche und die Gesellschaft, die sich solche Wünsche zu erfüllen versucht:„Frozen Angels“, Frauke Sandigs und Eric Blacks Dokumentation über die Reproduktionsmedizin in Los Angeles
Blechlawinen wälzen sich im grobkörnig bläulichen Licht früher Morgenstunden durch die Straßen einer Stadt, in der fast alles im Superlativ stattfindet: Los Angeles. Aus dem Off ertönt die Stimme von Radiomoderator Bill Handel. Ein Menge Leute rufen bei ihm an, während sie im Stau auf dem Santa Monica Freeway stehen, um über entscheidende Fragen des Lebens zu reden. Doch Bill Handel redet nicht nur. Er weiß konkrete Abhilfe für unerfüllte Wünsche, zumindest wenn es um das Bedürfnis nach Reproduktion geht, und er hat daraus ein recht lukratives Geschäft gemacht. Er ist Direktor der weltgrößten Agentur für Leihmütter und Eispenderinnen.
In „Frozen Angels“, dem neuen Dokumentarfilm von Frauke Sandig und Eric Black, geht es um Stau und Kinder, im weitesten Sinne. Der zähfließende Verkehr strukturiert den Rhythmus des Films, unterbricht und verbindet die einzelnen Geschichten. Wenn nicht gesprochen wird, wabert ein somnambuler Sound über den endlosen Wartezeiten. Ein vielleicht allzu naheliegendes (Sinn-)Bild, um die Menschen in dieser ausufernden Stadt unter eine Haube zu bringen. An weiterreichende Metaphern mag man erst gar nicht denken.
Anders gesagt: Es geht um die Reproduktionsindustrie. Die Filmemacher sagen: „Uns war von Anfang an klar, dass wir keinen Wissenschaftsfilm machen, sondern Geschichten von Menschen in einer Stadt erzählen wollten, in Los Angeles. Wissenschaft existiert nicht in einem kulturellen Vakuum. Unsere Frage war: Wie muss eine Gesellschaft beschaffen sein, um diesen ausgeprägten Wunsch nach Designer-Kindern zu entwickeln?“
So folgen wir verschiedenen Protagonisten: dem schon erwähnten Bill Handel; Cappy Rothman, dem Gründer der California Cryobank, wo Spermien, Embryos und Stammzellen eingefroren werden. Außerdem Lori Andrews, einer Juristin, spezialisiert im Bereich Fortpflanzungs- und Gentechnologie; dem Wissenschaftler Gregory Stock, vorbehaltlos begeistert von jeglicher Art des Klonens. Kim Brewer arbeitet als Leihmutter, pro Kind bringt ihr das 65.000 Dollar; die blonde, blauäugige Kari Ciechoski verdient als Spenderin 80.000 Dollar pro Eizelle. Außerdem suchen die Filmemacher Doron Blake und dessen ambitionierte Mutter auf. Doron Blake ist das Vorzeigeprodukt der perversen Idee des Millionärs Robert Klark Graham, der sich vor 25 Jahren einen „High-Quality-Handel“ ausdachte: Sperma von Nobelpreisträgern zu sammeln, es an intelligente Frauen weiterzureichen und auf diese Weise besonders schlaue Kinder zu zeugen.
Bei Doron Blake ist die Rechnung insofern aufgegangen, als er einen IQ von 180 vorzuweisen hat, im Alter von sechs Jahren Hamlet gelesen und mit elf sein erstes Buch geschrieben hat. Inzwischen wird er allerdings nicht müde zu betonen, dass die eigentliche Qualität des Menschen im Herzen liege, der soziale Kontext wichtiger sei als der IQ. Dass man mit Interviews auch Geld verdienen kann, hat er inzwischen auch gelernt.
Haltungen, Positionen, Bedürfnisse und Businessmodelle gehen in diesen 90 Minuten teilweise eine bizarre und manchmal komische oder beängstigende Mischung ein. Fragen nach Ethik und Moral liegen nahe und werden verhandelt, aber die Filmemacher spielen sich nicht als Apostel auf.
Das Problem der Langeweile entsteht allerdings, wenn die Sache mit der Empathie nicht funktioniert, wenn es einem gleichgültig ist, wer von wem wie über welche Umwege nun ein Kind bekommt oder nicht. Die Odyssee nach passendem Sperma ist längst im Serienformat angekommen und wurde zuletzt in der US-amerikanischen Serie „The L-Word“ ad absurdum durchdekliniert. Das ist der Moment, wo man sich dann doch nach dem Wissenschaftsfilm sehnt, nach mehr Fakten und Business, weniger Geschichten. Dass die Menschen spinnen, wenn man sie lässt, haben wir längst gelernt. ANNETT BUSCH
„Frozen Angels“. Regie: Frauke Sandig, Eric Black. Dokumentarfilm. Deutschland/USA 2005, 90 Min.