: Geheimdienste in Alarmbereitschaft
Bisher glaubten westliche Geheimdienste in Bosnien, die islamistische Szene im Griff zu haben. Doch die Verhaftung zweier mutmaßlicher Attentäter in Sarajevo könnte ein Hinweis sein, dass eine neue Generation von Extremisten heranwächst
AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER
Sie trugen Gürtel mit Explosionsstoffen am Körper und hatten darüber hinaus 5 Kilogramm Sprengstoff bei sich. Offenbar wurden sogar Videobotschaften gefunden, wie sie Selbstmordattentäter üblicherweise hinterlassen. Alles sah nach einem gut geplanten Anschlag aus. Noch weiß die Öffentlichkeit nicht viel über die vergangene Woche in Sarajevo festgenommenen drei mutmaßlichen Terroristen. Die Sicherheitsorgane halten dicht. Es handele sich um einen Bosnier mit schwedischem Pass, einen Türken mit dänischem Pass und einen bosnischen Staatsbürger, sickerte aus diplomatischen Kreisen durch. Der Bosnier wurde wieder auf freien Fuß gesetzt.
Die Hauptverdächtigen sind 18 und 20 Jahre alt. Sie sollen einen Angriff auf „eine Botschaft der EU-Staaten“ in Sarajevo geplant haben. Was den Sicherheitsorganen zu schaffen macht, ist das Alter. „Eine neue Generation wächst heran, von der wir keine Ahnung hatten“, heißt es aus Geheimdienstquellen. Bisher glaubten die westlichen Geheimdienste, Herr der Lage zu sein. „Wir beobachten genau, was in Bosnien vor sich geht. Doch bisher verfügten Extremisten über keine schlagkräftige Organisation. Das ist jetzt offenbar anders.“ Seit langem haben die westlichen Geheimdienste ein Auge auf Bosnien und Herzegowina. Die neue gesamtstaatliche Kriminalpolizei Sipa beginnt zu funktionieren. Sie führt jetzt die Ermittlungen.
Bisher war die Gefahr des islamistischen Terrorismus in Bosnien gebannt. Als während des Kriegs 1992–1995 um die 1.000 islamische Kämpfer ins Land kamen, um den bedrängten Bosniaken zur Seite zu stehen, waren auch Freunde Ussama Bin Ladens darunter. Die Amerikaner sorgten 1996 dafür, dass die meisten „Mudschaheddin“ das Land verließen. Im Zuge humanitärer Hilfe kamen erneut Islamisten ins Land, vor allem die von den Saudis finanzierten Wahabiten. Die westlichen Geheimdienste blieben wachsam. Den Amerikanern gelang es nach dem 11. 9. 2001, mehrere islamistische Terrorgruppen zu zerschlagen. Danach wurde es still um die Islamisten in Bosnien. Saudi-Arabien musste auf US-Druck die Finanzierung für diverse Organisationen einstellen. Die meisten Araber sind aus Bosnien verschwunden. Die Frage, ob Bosniaken in ihre Fußstapfen getreten sind, macht den Sicherheitsorganen Sorge. Vor allem das Dorf Maoca nahe der Stadt Brcko in Nordostbosnien geriet ins Fadenkreuz der Fahnder.
Die Minarette der Moscheen von Maoca schälen sich aus dem Nebel dieser Oktobertage. Die Straßen sind leer. In der zentralen Bar spielen Männer Karten. Der Besitzer des gegenüberliegenden Internet-Cafés trägt einen Vollbart. Er will den Kontakt zur Wahabitengemeinschaft herstellen. Kurz darauf nähert sich ein weiterer Bärtiger und lädt die Besucher zu sich ein.
Dzevad Kopacalic spricht perfekt Deutsch. Seit der 30-Jährige 2000 aus Frankfurt am Main nach Maoca zurückgekehrt ist, hat er sein Leben umgekrempelt. Er sei Türsteher gewesen, sagt er, bei Etablissements im Rotlichtdistrikt. „Ich war ständig in Schlägereien verwickelt und hatte Probleme mit der Justiz.“
Der noch immer durchtrainierte, kräftige Mann lebt streng nach den Regeln des Korans. Diese Vorschriften seien seine Rettung gewesen. Er sei weg von Alkohol und Zigaretten. „Der Islam ist für mich ein Schlüssel zum harmonischen Leben.“ Er sei glücklich verheiratet, habe zwei Kinder. „Ich bin zu meinen Ursprüngen zurückgekehrt, zum Islam.“ Von dem toleranten, bosnischen Islam hält er aber nicht viel. Auch nicht von dem am 25. September für sieben Jahre wiedergewählten Reis-l-Ulema, Mustafa Ceric, dem Oberhaupt der islamischen Gemeinschaft in Bosnien, der für einen weltoffenen, europäischen Islam eintritt. Wie die übergroße Mehrheit der bosnischen Muslime strebt Ceric eine demokratische Gesellschaft an und sieht den Platz Bosniens in Europa. Wie steht der Konvertit zu den Anschlägen islamischer Terroristen? „Was machen die Amerikaner im Irak?“, fragt er. Der Islam sei gegen Gewalt, wer den Islam lebe, schmeiße keine Bomben. Die Amerikaner kämen oft ins Dorf, um die Lage zu beobachteten. „Warum ist bisher niemand verhaftet worden, wenn es einen Verdacht gibt?“
Den gibt es derzeit nicht. Nato-Sprecher Derek Chapell winkt ab. „Wir haben keine Hinweise auf terroristische Aktivitäten in diesem Dorf.“ Doch mit den drei Verhafteten in Sarajevo schrillen jetzt die Alarmglocken. Offenbar ist eine neue Generation von Terroristen aufgetaucht, die mit den bisherigen in Verdacht geratenen Strukturen nichts zu tun hat.