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Archiv-Artikel

Ihr Heil im Müll

AUS GARDELEGEN, ORANIENBURG & HAMBURG ASTRID GEISLER & ANJA MAIER

Stolz wie ein Feldherr blickt Meik Hagen hinüber zu seiner Truppe. Er steht am Rande des historischen Walls, der die Altstadt von Gardelegen umfriedet, stützt seinen wuchtigen Körper auf das Arbeitsgerät. Die Aktion läuft. Elf Kameraden durchkämmen das Gestrüpp, stochern mit Stangen im Herbstlaub, stopfen in Müllsäcke, was ihnen an Abfällen unter die Augen gerät: Chipstüten, Bierflaschen, Damenbinden, sogar eine Baumwollhose, die aussieht wie halbverwest.

Einige der Jungs tragen Tarnjacken, die Schädel frisch rasiert. Für ihren Außeneinsatz haben sie sich eigens schweres Gerät gefertigt, haben Besenstiele mit eisernen Spitzen zu Mülllanzen ausgebaut. Ein schwangeres Mädchen hilft auch mit, sie hat ihren Pitbullwelpen dabei, der schnüffelt begeistert um die Abfallsäcke herum. Die Jugendlichen lachen und scherzen. Auch Meik Hagen ist guter Dinge: Er hat nicht umsonst getrommelt für diesen „Nationalen Säuberungstag“. In einer Stunde wird der Grüngürtel rund um die Altstadt noch ein bisschen schöner aussehen.

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Andreas Fiol kennt dieses beglückende Gefühl. Es erfasst ihn regelmäßig, wenn er über den frisch gesäuberten Rasen blickt. „Oft ist es noch kalt draußen. Ich stehe besonders früh auf“, sagt er. „Aber das macht nichts. In meinem Herzen ist dann eine ganz große Freude.“ Seine Augen leuchten. „Vermutlich, weil man beim Saubermachen auch sein Inneres reinigt.“

Fiol trifft sich einmal im Monat mit anderen Buddhisten auf der Hamburger Moorweide. Gemeinsam sammeln sie Müll auf in der kleinen, von Eichen gesäumten Parkanlage zwischen dem Bahnhof Dammtor und der Außenalster. Immer sonntags, immer morgens um 6.30 Uhr. Um möglichst wenig zu stören, sagt Fiol. Der Einsatz ist eine Übung nach der Lehre Buddhas – das „Reinigungs-Gohoshi“. „Gohoshi“ kommt aus dem Japanischen wie die buddhistische Schule, der sich Fiol angeschlossen hat. Der Begriff steht für den Dienst am Nächsten, den man erbringt, frei von jeglicher Erwartung.

Keine leichte Sache in der Praxis. Deshalb trainieren die Gläubigen regelmäßig, ihr liebstes Opfer ist Dreck. Der Staub auf dem Teppichboden, das schmutzige Geschirr in der Teeküche und vor allem der Müll in der Umwelt.

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Lonny Stam macht keine Reinigungsübung, sie macht schlicht „Herbstputz“. Die 55-Jährige gibt ihren Samstagvormittag dran für den Oranienburger Lehnitzsee. „Meinen Lehnitzsee“, sagt Stam. Die Volkshochschullehrerin wohnt mit ihrer Familie nur hundert Meter vom Ufer entfernt. Im Sommer schwimmt Lonny Stam drei-, viermal die Woche im See, das ganze Jahr über geht sie hier spazieren. Sie weiß nicht, wieso diesmal so wenige zum „Herbstputz“ gekommen sind. Vielleicht der Regen? Warum sie dabei ist, hat Stam aber schnell erklärt: „Das ist Eigennutz im positiven Sinne.“

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Betrachtet man die prallen Müllsäcke, dann tun Meik Hagen, Andreas Fiol und Lonny Stamm ein und dasselbe. Eine simple Sache, eine, auf die täglich unzählige Bürger ihre Zeit verwenden. Sie bücken und bekleckern sich, lesen den hässlichen Auswurf der Wohlstandsgesellschaft auf, freiwillig, ohne Bezahlung. Betrachtet man aber ihre An- und Absichten dabei, könnten die kaum unterschiedlicher sein.

Heimatschutz, Nächstenliebe, Eigennutz – welche Rolle spielen die Motive, wenn das Ergebnis ein nützliches ist?

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Eine Fachfrau für Fragen des Müllsammelns sitzt in der Zentrale des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND). Martina Löw leitet das Freiwilligenreferat. Sie kann eine Menge Gründe aufzählen, warum gerade Müllsammeln eine so beliebte Form des Engagements ist – bei Jugendlichen wie bei Senioren: Die Helfer können anpacken, ohne sich langfristig zu verpflichten. Die Arbeit ist einfach, mitmachen kann fast jeder. Man kommt mit anderen Leuten zusammen, bewegt sich an der frischen Luft, Erfolgserlebnis garantiert. „Als Müllsammler“, erklärt Löw, „kann ich nach kurzer Zeit mit einem extrem guten Gefühl wieder nach Hause gehen.“

Martina Löw sagt: „Es ist erst mal unerheblich, aus welchen Gründen jemand bei einer Aktion mitmacht.“ Auch Müllsammeln sei eine notwendige Sache. Und eine gute obendrein.

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Sätze wie diese würde sich Meik Hagen am liebsten schriftlich geben lassen. Er organisiert die „Nationalen Säuberungstage“ schon zum dritten Mal. Auf Anerkennung wartet er noch. Im letzten Jahr erklärte Gardelegens SPD-Bürgermeister, der Gruppe sei es nur ums Kriegerdenkmal gegangen. Eine Unterstellung, findet Hagen. Auch ihm liege Umweltschutz am Herzen, er schätze Organisationen wie den BUND – solange deren Linie nicht „zu extrem“ sei. Seine Initiative nennt er „Nationale Sozialisten aktiv im Umwelt- und Naturschutz“. Im Aufruf für die Aktion steht: „Nationaler Sozialismus ist Leben im Einklang mit der Natur.“

Meik Hagen lebt von Hartz IV, lässt sich gerade zum Lagerarbeiter umschulen. Der 33-Jährige wird den Neonazis um die „Freien Nationalisten Altmark-West“ zugerechnet.

Im Bericht des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt kann man nachlesen, dass seine „Säuberung“ in der benachbarten Kleinstadt Klötze im vergangenen Jahr nicht nur auf Unrat zielte. Einige Kameraden zogen nach dem Müllsammeln vor das Haus einer Aussiedlerfamilie, zerstörten die Eingangstür, grölten ausländerfeindliche Parolen.

Sauber gleich judenrein? Ausländerfrei? Die jungen Müllsammler reagieren auf das Thema halb betreten, halb belustigt, wie Teenager, die man mit qualmender Kippe auf dem Schulklo erwischt. „Klötze ist doch eh so gut wie ausländerfrei“, murmelt einer. Einige feixen: „Könnt ihr mal überlegen, was ihr dieses Jahr noch so gemacht habt!“ Meik Hagen hört mit unbewegter Miene zu. „Nö“, sagt er schließlich: „Mir ist davon nichts bekannt.“

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Buddhist Andreas Fiol stellt an sein Handeln höchste Ansprüche. Er spricht darüber in sanftem, verständigem Ton. Vor fünf Jahren hat er seinen Job als Produktdesigner aufgegeben, die Religion zum Beruf gemacht. Er arbeitet jetzt im Hamburger Shinnyo-En-Tempel. „Drei Menschen können äußerlich genau das gleiche Gute tun“, sagt Fiol. „Aber innerlich machen sie vielleicht etwas völlig Unterschiedliches.“ Entscheidend sei für ihn die innere Haltung.

Als Buddhist wolle er sich nicht aus Pflichtgefühl oder Ärger für andere einsetzen, sondern mit einem Gefühl der Dankbarkeit. Ob das klappt, studiert Fiol auch beim Aufsammeln von Bierflaschen oder Papierschnipseln: Entdeckt er ein negatives Gefühl, versucht er es „zu verwandeln“.

Muss man sich also schlecht fühlen, wenn einen die Wodkaflasche im Rosenbeet aufregt – und man sie deshalb wegräumt? Fiol lacht. Bloß nicht! Er vermeidet Kritik an anderen, die sich für eine gute Sache einsetzen wollen. Man kann ihn sogar um seine Meinung zu müllsammelnden Neonazis bitten, er sagt kein hartes Wort. Obwohl der 43-Jährige weiß: Hinter deren „Säuberungstagen“ stehen Ideen, die er mit seinem Glauben nie vereinbaren könnte. Fiol richtet seine Erwartungen allein an sich: „Ärger über andere bringt nie etwas Gutes.“

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Auch Lonny Stam aus Oranienburg versucht, sich nicht zu ärgern. Etwa über den McDonalds-Müll, den Jugendliche regelmäßig am See hinterlassen, wenn sie in ihren tiefergelegten Golfs bei voll aufgedrehter Stereoanlage ihren McRib gegessen haben. „Ich meckere nicht über Jugendliche“, sagt sie: „Ich helfe.“ Für Stam ist Müllsammeln ein Weg, aktiv das Gemeinwesen mit zu gestalten – und deshalb durchaus „politisch“.

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Ob auch Neonazis einmal im Jahr Müll auflesen sei ihm grundsätzlich egal, sagt David Begrich, Rechtsextremismusexperte aus Halle. Problematisch findet er jedoch das Ziel dieser Gruppen: „Weiche“ Themen wie Naturschutz besetzen, ihr Image als Vertreter des kleinen Mannes aufpolieren, sich als gleichberechtigter lokalpolitischer Akteur etablieren. In den Kommunen müsse man sich klar von Aktionen wie dem „Säuberungstag“ distanzieren, verlangt Begrich: „Entscheidend ist, dass man diesen Leuten das Feld der Selbstinszenierung offensiv bestreitet.“

In Gardelegen macht Hagen und seinen Kumpels dieses Jahr keiner etwas streitig. Ältere Leute spazieren vorbei, eine Joggerin zieht ihre Runden. Keiner nimmt Notiz von der Gruppe. Auch nicht die Mutter, die mit ihren Kindern durch den Park schlendert. Auf die Jugendlichen mit den Müllpiekern angesprochen, nickt sie: „Juut finde ich das. Natürlich. Da bleibt der Wall schön sauber. So was müsste viel mehr passieren.“