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Archiv-Artikel

„Wir sind keine Lemminge“

ACHIM STEINER Der Direktor des UN-Umweltprogramms erklärt, warum er vor dem Klimagipfel zuversichtlich ist

Achim Steiner

■ 48, ist seit 2006 Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms (UNEP). Der Deutsche leitete vorher die globale Naturschutzorganisation IUCN und die „Staudammkommission“ der UN. Für ihn hat „die UNEP nicht das Monopol zur Rettung der Welt“, denn mit 500 Mitarbeitern und einem Etat von 200 Millionen Dollar ist sie weitaus kleiner als etwa das deutsche Umweltministerium. UNEP hat mit dem UN-Klimarat IPCC die Wissenschaft in der politischen Debatte verankert und könnte aus der Klimadebatte gestärkt hervorgehen: Länder wie Frankreich und Deutschland fordern die Aufwertung zu einer UN-Umweltorganisation mit mehr Geld und Macht.

INTERVIEW BERNHARD PÖTTER

taz: Herr Steiner, die Welt schaut skeptisch auf den Klimagipfel in Kopenhagen. Nur Ihre Organisation, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, versprüht Optimismus. Was wissen Sie, das wir nicht wissen?

Achim Steiner: Ich sehe die Fakten: Gerade haben sich wichtige Länder wie die USA, China und Brasilien zu konkreten Schritten bereit erklärt. Und das Interesse der Staatschefs ist es nicht, mit einem schlechten Deal nach Hause zu fahren. Ein Deal ist möglich, aber natürlich nicht garantiert. Denn wir müssen sehen, dass es hier um sehr weitreichende Veränderungen in unseren Volkswirtschaften geht und dass so ein Vertrag unter allen Staaten fast einmalig in der Geschichte ist.

Sie haben gesagt, halbgare Vereinbarungen könne es nicht geben. Genau danach sieht es aber im Moment aus. Wie viel Zweck steckt also in Ihrem Optimismus?

Barack Obama hat seine Äußerung, es werde kein Abkommen geben, innerhalb von 24 Stunden relativiert. Und wenn wir die bisherigen Zusagen zur Emissionsreduzierung zusammenrechnen, sind wir nicht mehr so weit entfernt von dem Wert, den der UN-Klimarat für das Jahr 2020 fordert. Da sind die 20 beziehungsweise 30 Prozent der EU, die 25 Prozent von Japan, 40 Prozent von Norwegen plus die freiwilligen Zahlen etwa aus Brasilien, Mexiko oder Korea. Und jetzt haben sich auch die USA und China erstmals zu konkreten Zahlen bekannt.

Was wird bei diesem Gipfel herauskommen?

Ich glaube, dass wir in Kopenhagen die Eckpunkte eines Klimaabkommens verhandeln können, mit politisch verbindlichen Emissionsreduzierungen und Finanzierungszusagen. Dann kann man die Uhr anhalten und im nächsten Jahr zu Ende verhandeln.

Aber ein Abkommen erfordert Vertrauen zwischen den Staaten der Welt. Davon ist zwischen Nord und Süd nicht viel zu sehen.

Es gibt großes Misstrauen, das stimmt. Die Entwicklungsländer beobachten, dass die Industriestaaten noch nicht zu tiefgreifenden Veränderungen bereit sind, sondern einen Teil ihrer Verantwortung auf sie abwälzen wollen. Diese Spannung wird bis zum letzten Tag die Verhandlungen durchziehen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat als Ziel ausgegeben, der Deal müsse glaubwürdig, fair und effizient sein. Wenn wir das nicht schaffen, ist Vertrauen nicht möglich.

Und daran sind alle Staaten interessiert?

Ich sehe keinen bewussten Versuch, Kopenhagen scheitern zu lassen. Im Gegenteil: Die letzten Wochen waren von einer Intensität der Diplomatie auf höchster Ebene gezeichnet, wie wir sie beim Klima noch nie gesehen haben.

Aber wie kann man das nötige Vertrauen schaffen?

Die Industrieländer müssen verbindliche und ambitionierte Ziele für die CO2-Reduktion sowie angemessene Finanzierungspakete vorlegen. Dann müssen die Entwicklungsländer ihren CO2-Ausstoß vom künftigen Wirtschaftswachstum abkoppeln. Die entscheidende Frage ist doch: Sind die Industrieländer bereit, in eine neue gemeinsame Klimapolitik zu investieren? Es gibt da eine falsche Wahrnehmung, als ob die Industrieländer zu einer Abgabe an die Entwicklungsländer gezwungen werden sollen. Dabei geht es um eine Investitionspartnerschaft zwischen Nord und Süd, um die Weltwirtschaft schnell in eine kohlenstoffarme Wirtschaft zu verwandeln. Es gibt auch Druck aus der Wirtschaft: Im Moment befinden sich Milliarden von Dollar an möglichen Investitionen im Energie- und Transportsektor in der Warteschleife, weil Unsicherheit Gift für solche Entscheidungen ist.

Der Klimawandel ist real, er kommt schneller als gedacht und wird mehr Kosten verursachen, je länger wir nicht handeln. Warum sind die Reaktionen trotzdem so langsam?

Kurzfristiges Denken mag eben manchmal rational erscheinen. Vor allem, wenn die anderen die Bürde aufgelastet bekommen, zuerst zu handeln. Auch Politiker sind in dieser Rolle gefangen. Die meisten von denen, die in Kopenhagen verhandeln, stehen in ein paar Jahren zur Wiederwahl.

Hinderlich ist auch das Verfahren: Alles muss einvernehmlich beschlossen werden; selbst ein notorischer Bremserstaat wie Saudi-Arabien muss allem zustimmen.

Wenn man eine globale Klimapolitik will, muss man dafür alle Staaten einbinden. Die Veränderung zu einer Zukunft ohne fossile Brennstoffe muss alle Interessen berücksichtigen, auch die der ölproduzierenden Länder. Man bekommt keine Weltklimapolitik, wenn man einzelne ausschließt. Im Übrigen: Was die Ölländer vertreten, das tut in Deutschland die Auto-, in Japan die Stahl- und in den USA die Kohleindustrie. Jedes Land bringt Interessen ein.

Das Montreal-Protokoll zur Rettung der Ozonschicht hat eine andere Regelung: Da kann im Zweifel mit Mehrheit abgestimmt werden, auch über die Interessen einzelner Länder hinweg.

Die Entwicklungsländer beobachten, dass die Industriestaaten noch nicht zu tiefgreifenden Veränderungen bereit sind

Natürlich wäre es einfacher, eine kleinere Gruppe von Staaten zu haben, die vorangeht. Aber dann werden Sie mit einem globalen Klimadeal nicht weit kommen. Es geht hier um ganz andere Größenordnungen als im Montreal-Protokoll. Von dem wir allerdings viel lernen können: Erstens können dessen Regeln angepasst werden, wenn die Wissenschaft neue Erkenntnisse hat. Zweitens bestimmen Industrie- und Entwicklungsländer gemeinsam darüber, wie Finanzhilfen verteilt werden. Drittens wurde die Privatwirtschaft einbezogen, weil hier die technologischen Durchbrüche gefunden werden.

Sie sprechen viel von „Green Economy“. Aber die Wirtschaft hat ihren größten Beitrag zur Lösung des Klimaproblems bisher durch die Wirtschaftskrise geleistet, in der die Kohlendioxid-Emissionen stark gefallen sind.

Die Finanzkrise ist ein kurzfristiges Phänomen. Die Rückgänge bei den CO2-Emissionen der letzten 18 Monate sind daher nicht relevant. Im Gegenteil schränkt die Krise den Spielraum für finanzielle Zusagen der Industriestaaten gewaltig ein. Nein, für mich hat eine viel größere Bedeutung etwa die Reform der Agrarpolitik in Europa oder das Wachstum beim Ökostrom in Deutschland auf 15 Prozent oder der Aufstieg Chinas zum weltgrößten Produzenten von Windkraft in nur drei bis vier Jahren. Da sind gewaltige Veränderungen im Gange.

Muss man sich von der Vorstellung eines ständigen, unbegrenzten Wachstums verabschieden?

Die Frage ist doch: Kann man das Wirtschaftswachstum abkoppeln von einer Politik der Ressourcenzerstörung? Dänemark hat in den letzten 25 Jahren sein Bruttosozialprodukt um 65 Prozent erhöht, ohne die Stromproduktion auszuweiten. Offenbar ist die Abkoppelung also machbar. Und wir müssen immer bedenken: Heute leben noch immer bis zu zwei Milliarden Menschen unter der Armutsgrenze. In 40 Jahren werden wir insgesamt neun Milliarden Menschen auf der Welt haben. Wer glaubt, bei der Armutsbekämpfung ohne Wirtschaftswachstum auszukommen, der muss erklären, wie das machbar sein soll. Aber Wachstum darf nicht wie in den letzten 200 Jahren die natürlichen Lebensgrundlagen plündern, sondern muss Kreislaufwirtschaft und nachhaltiges Management der Ökosysteme integrieren.

Wie weit ist dieses Bewusstsein verbreitet?

Man muss lernen, mit Rückschlägen zu lernen. Aber für Selbstmitleid, Zynismus oder Frustration ist meine Aufgabe beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen nicht geeignet. Ich ziehe meine Hoffnung aus dem wachsenden Bewusstsein der Menschen: Wir sind keine Lemminge. Wir definieren uns auch über die Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen. Das öffentliche Bewusstsein ist der Grund dafür, dass Politik und Wirtschaft zunehmend anderes Handeln lernen. Und ich sehe täglich Beispiele, wie wir die Welt zum Besseren verändern können. Vor fünf Jahren noch haben wir noch debattiert, ob es Klimawandel überhaupt gibt. Heute verhandeln wir darüber, wie wir die Weltwirtschaft neu ausrichten können. Da ist ein gewisses Element des Optimismus gerechtfertigt. Trotzdem sorge ich mich, dass wir uns zu sehr an kurzfristigen Interessen orientieren. Man darf also eine gewisse Ungeduld nicht aufgeben. Unsere Aufgabe bleibt, die Lösungen von morgen schon heute möglich zu machen, denn uns fehlt schlicht die Zeit, auf morgen zu warten.