Regierender Bürgermeister im Blindflug

ABSTIMMUNG II Auf der Flughafenbaustelle blickt kaum jemand durch – Klaus Wowereit sowieso nicht. Die taz beantwortet die wichtigsten Fragen

■ Rund 57 Prozent der BerlinerInnen geben dem Regierenden Bürgermeister große Schuld an der Verschiebung des Eröffnungstermins, so eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag der B. Z. Dennoch wollen 62 Prozent nicht, dass er als Regierender Bürgermeister zurücktritt. 52 Prozent möchten, dass die rot-schwarze Koalition weiterarbeitet.

■ Über den Misstrauensantrag gegen den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wird an diesem Samstag im Abgeordnetenhaus namentlich abgestimmt.

■ Für den Wahlgang erhält jeder Abgeordnete drei Stimmkarten mit seinem Namen. Sie unterscheiden sich farblich voneinander und sind mit „Ja“, „Nein“ oder „Enthält sich“ gekennzeichnet. Die Abgeordneten werden einzeln aufgerufen und werfen anschließend ihre Stimmkarte in die Wahlurne. Die Auszählung durch die Zählkommission dauert rund 30 Minuten, der Präsident verkündet anschließend das Ergebnis. Etwa eine Stunde später sind nach Angaben des Abgeordnetenhauses die Listen mit dem Stimmverhalten einsehbar. (dpa)

VON SEBASTIAN HEISER
UND BERT SCHULZ

Hätte Klaus Wowereit früher erkennen müssen, dass am Flughafen etwas falsch läuft?

Genau das wäre sein Job gewesen. Der Regierende Bürgermeister ist zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft. Unvergessen ein Interview, das Wowereit im Mai 2012 gab. Die Frage: „Steht der Flughafeneröffnung noch etwas im Wege?“ Wowereits Antwort: „Der Flughafen nimmt am 3. Juni den Betrieb auf.“ Zwei Tage nach dem Interview wurde die Eröffnung verschoben.

Was muss ein Aufsichtsratschef draufhaben?

Eigene Fachkenntnisse über Bau und Betrieb eines Flughafens braucht man nicht. Die wichtigste Aufgabe ist es, die richtigen Leute für das operative Geschäft auszuwählen. Wowereit holte 2005 Rainer Schwarz als Flughafenchef aus Düsseldorf nach Berlin, weil der ein „ausgewiesener Fachmann“ sei. Die Personalie erwies sich als Fehlgriff. Die zweitwichtigste Aufgabe des Aufsichtsrates: die Geschäftsführung kontrollieren und sich über den Baufortschritt unterrichten lassen. Schwarz hat dabei offenbar geschönte Auskünfte gegeben, auf die Wowereit sich verlassen hat – und deshalb verliert er nun seinen Job. Also Schwarz, nicht Wowereit.

Klaus Wowereit saß ja nicht allein im Aufsichtsrat.

Richtig, der Rat hat 15 Mitglieder – neben den Vertretern der Anteilseigner Berlin, Brandenburg und dem Bund noch Arbeitnehmervertreter. Auch Innensenator Frank Henkel (CDU) gehört dazu und zwei Staatssekretäre des Bundes. Aber für Berlin war das Flughafenprojekt besonders wichtig, und niemand hat sich in der Vergangenheit die Erfolgsmeldungen über den Flughafen so gern auf die eigene Fahne geschrieben wie Klaus Wowereit.

Wurden denn zuletzt noch Fehler gemacht?

Aber ja. Einen hat der SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz diese Woche in der taz genannt: „Das Hauptproblem ist, dass wir uns zu früh und zu klar auf Termine festgelegt haben.“ Alles also nur eine Frage missglückter politischer Kommunikation? Mitnichten: Ein großer Fehler, so räumen Beteiligte ein, war auch die Kündigung der Generalplaner kurz nach dem Platzen der Eröffnung im Juni vergangenen Jahres. Dadurch ist offenbar viel Wissen über die unfertige Baustelle verloren gegangen, das nun mühsam wieder zusammengesucht werden muss.

Warum ist der Regierende überhaupt so wild auf einen Flughafen?

Seit geraumer Zeit versucht Wowereit, sich ein Denkmal zu setzen. Erst sollte es eine Kunsthalle sein, später eine Landesbibliothek für mindestens 270 Millionen Euro. Erstere ist bereits gescheitert, Letztere steht kurz davor. Der Flughafen wäre jedoch die Krönung seiner seit 2001 währenden Regentschaft gewesen. Einen Flughafen in Berlin zu bauen ist jedoch ähnlich schwierig, wie übers Wasser zu gehen. Schon seit Anfang der Neunziger versucht das Land, einen Flughafen im Umland zu errichten, der ein Drehkreuz wie Frankfurt oder München werden und Arbeitsplätze von dort nach Berlin ziehen soll. Im Gegenzug sollten die beiden innerstädtischen Airports Tegel und Tempelhof schließen. Immerhin Letzteres hat geklappt, mit nur eineinhalb Jahren Verspätung.

Sollte man den Bau besser abreißen und wieder ganz von vorne anfangen?

Eine kaum zu beantwortende Frage ist, ab welcher Teuerungsrate und Verzögerung die berüchtigte „Reißleine“ zu ziehen ist – man den Bau also abreißen oder ihn verrotten lassen sollte. Pikant im Falle Schönefelds jedoch ist, dass der Bau einst eben nicht von Privaten gemacht werden sollte, weil man hoffte, dass der Staat das billiger kann. Bis Mai sollten die Gesamtkosten noch bei 2,4 Milliarden Euro liegen, im Herbst wurden sie auf 4,3 Milliarden Euro geschätzt. Wenn die Prognosen jetzt noch mal um ein paar Milliarden steigen, wäre es wirklich billiger, ganz von vorn anzufangen. Und wenn man den Flughafen dann weiter außerhalb der Stadt plant, wäre man auch noch den Stress mit den Flugrouten los. Gerade hat nämlich auch noch die EU erklärt, wegen Nichteinhaltung der Vorgaben für die Routen ein Verfahren gegen Deutschland einleiten zu wollen.