: Hosen runter
Wer Christine Prayon sagt, muss auch Tanja Gönner sagen. Mit ihrer Parodie der damaligen baden-württembergischen Umweltministerin bei den Montagsdemos wurde die Kabarettistin über Stuttgart hinaus bekannt. In der „heute-Show“ gibt sie die Birte Schneider. 2012 hat die Humorarbeiterin gleich drei Kabarettpreise abgeräumt
von Susanne Stiefel (Text) und Joachim E. Röttgers (Fotos)
Das „Vicino“ um die Ecke ist ihr zweites Wohnzimmer. In der italienischen Espressobar im Stuttgarter Westen macht sich Christine Prayon gerne mit einem Cappuccino die Lektüre der Lokalpresse genießbar, hier wird sie vom italienischen Barista wie ein Familienmitglied begrüßt, hier kennt sie die meisten der Gäste. Und die kennen sie. Nicht nur, weil sie hier Stammgast ist, sondern weil fast alle freitags die „heute-Show“ gucken und sich auf Birte Schneider freuen. In dieser Rolle lässt Christine Prayon durch unvorsichtige Kommentare als DAX-Reporterin die Aktienkurse in den Keller stürzen, beklagt sich als EU-Korrespondentin über die Deutschenfeindlichkeit der Belgier oder erklärt als USA-Expertin mit gewichtiger Miene, mit welchen Schwachheiten der konservative Mitt Romney die Amerikaner becirct. Und das ist brüllend komisch.
Mit Birte Schneider ist Christine Prayon in der Bundesliga der Comedy- und Kabarettistenszene angekommen. Fernsehen adelt, die satirische „heute-Show“ des ZDF sowieso, und die Stuttgarter Humoristin gehört inzwischen zum festen Team um Oliver Welke. Im vergangenen Jahr hat sie mit ihrem Soloprogramm „Die Diplomanimatöse“ den Deutschen Kleinkunstpreis, den Prix Pantheon und den Deutschen Kabarett-Preis abgeräumt – gleich drei einschlägige Pokale. 2012 war ihr Jahr, das Erfolgsjahr der Christine Prayon. Doch der persönlich wichtigste Preis ist ein anderer. Denn er war eine Ermunterung, weiterzumachen, als sie schon ans Aufhören dachte. Das Geschäft mit dem Humor kann hart sein.
„2010 war mein Krisenjahr“, sagt Christine Prayon in aller Offenheit und sitzt ganz konzentriert auf ihrem Barhocker im „Vicino“. Die Stirn angestrengt gerunzelt, die ausgebildete Schauspielerstimme prononciert, aber leise. Die 38-Jährige kennt mehr als die Erfolgswelle, auf der sie derzeit schwimmt. In ihrem persönlichen Krisenjahr 2010 hat sie ihr Soloprogramm „Die Diplomanimatöse“ gestartet. Sie war in keine Schublade zu stecken, weder Comedy noch Kabarett, das war ungewohnt. Den einen war sie zu sehr Ulknudel, den anderen zu ernst, sie hat die Häuser nicht voll gemacht, und die Veranstalter zögerten, sie zu buchen. Mit der Flaute kamen die Selbstzweifel. „Ich hatte keinen Namen“, sagt Prayon, „ich wurde unsicher und fragte mich: Wie geht es eigentlich weiter?“
Es gibt mehr als die ewige Künstlerfrage: Bin ich gut?
Es war eine existenzielle Frage nicht nur in künstlerischer Hinsicht. Wenn ihr Partner Marc Hetterle nicht drei Jahre täglich den Bill im Musical „Mamma Mia“ gegeben hätte, wären die beiden Schauspieler nicht über die Runden gekommen. Und dann gewann sie den Dortmunder Kabarett & Comedy Pokal. Sie weiß noch genau, wie sich das anfühlte. Dieser Preis war Balsam für eine verunsicherte Seele.
Und dann kamen die Montagsdemos. Es war Befreiungsschlag und Erweckungserlebnis in einem. Christine Prayon, die sich bis dato als politischer Mensch verstanden hatte, entdeckte, dass es noch etwas anderes gab als die ewige Künstlerfrage: Bin ich gut? Der Protest in der Stadt, in der sie seit acht Jahren lebt, elektrisierte sie. Die Künstlerin sah die Kreativität, hörte die Argumente und beobachtete, wie wenig Politiker sich darum scherten und wie wenig von alldem Niederschlag in den Lokalzeitungen fand. Und dann wurde die Frau mit dem komischen Talent gefragt, ob sie nicht einmal auftreten wolle. Drei Wochen lang hat sich die Sprachkünstlerin auf ihren ersten Auftritt am 30. August 2010 vorbereitet. Ihre Zielscheibe waren die Medien, ihre Satire war ein Erfolg – und das Ticket zur „heute-Show“.
Dann entdeckte Christine Prayon in der baden-württembergischen Umweltministerin Tanja Gönner, eifrige Befürworterin des Bahnhofs, eine Einladung zur Parodie. „Ihr Auftreten hat mich an Loriots Bundestagsrede erinnert“, sagt die gelernte Schauspielerin und nippt an ihrem Kaffee: nur angebrochene Sätze, die gehaltvoll klingen, die voller Fremdwörter sind, aber ohne Inhalt, ein gefundenes Fressen. Christine Prayon hat solch leere Sätze mit der gleichen Ernsthaftigkeit und nasalen Betonung vorgetragen wie die CDU-Ministerin, und die S-21-Gegner auf den Demos lachten sich schlapp. Humor, da ist sich Prayon sicher, ist eine scharfe Schere, mit der man den Mächtigen die Hosen runterlassen kann: Zapp, sind die Hosenträger ab. Die falsche Gönner wurde Kult und Prayon über Stuttgart hinaus bekannt.
Will ihr da etwa einer das Etikett Krisengewinnlerin aufkleben? Dagegen wehrt sich Christine Prayon genauso vehement wie gegen sonstige Schubladen. Dafür hat der Protest zu sehr ihr ganzes Leben verändert, ihren Blick auf die Politik, das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Medien. Christine Prayon kann in ihrer klugen Ernsthaftigkeit sehr streng sein. Hat da einer gedacht, Künstler, die sich dem Humor verschrieben haben, machen aus jeder Antwort einen Joke und gehen mit witzigen Anekdoten hausieren? Noch so eine Erwartung, die das Stuttgarter Protestgewächs lustvoll enttäuscht. Prayon ist eine kluge Gesprächspartnerin, eine, die nachdenkt, bevor sie antwortet. Ihr Humor konzentriert sich auf der Bühne.
Etwa, wenn sie im alten Schulhaus in Hoheneck als Diplomanimatöse ihr Programmhighlight Mario Barth zum Besten gibt oder als Carla Bruni sexy und hohl ins Mikro säuselt. Dann wirbelt sie über die Bühne, dass dem Publikum schwindlig wird. Zerstört den Moment, legt sich nicht fest, verwirrt, und demaskiert dabei lustvoll jegliche Bühnenillusion – und sich gleich mit. Die vier Studenten, die ganz vorne an der Bühne sitzen, lachen sich schlapp, wie diese Frau mit dem Mut zur Hässlichkeit immer knapp an der Peinlichkeitsgrenze entlangschrammt. „Knapp vorbei? Sie ist doch weit drüber“, grinsen sie erfreut.
„Das haben sie gesagt?“, prustet Christine Prayon los und hüpft beinahe vom Barhocker vor Freude. So fühlt sie sich verstanden. Genau das will sie mit ihrem Ganzkörpereinsatz erreichen. Nicht in eine Schublade gesteckt werden, lieber Grenzen überschreiten, auch die Grenzen zwischen Politkabarett und Comedy, zwischen U und E. „Und wenn da eine Träne kullert, so ist's doch nur ein Aug, das pullert“, zitiert die Diplomanimatöse frei nach Hölderlin. Christine Prayon ist respektlos, überraschend und dabei durchaus anstrengend. „Verweigert sich radikal kabarettistischer Meterware“, nennen das die Juroren beim Deutschen Kleinkunstpreis.
Nun spielt die gebürtige Bonnerin also ganz oben mit. Zweimal im Monat „heute-Show“, viermal im Jahr „NDR Intensivstation“, zweimal im Monat „Comedystube“ im Tübinger Sudhaus und dazwischen immer wieder Bühnenauftritte mit ihrer Soloshow. Bühne ist ihr wichtig, „Fernsehen kann morgen wieder vorbei sein“, sagt sie nüchtern. Christine Prayon genießt den direkten Kontakt zum Publikum, das sie in den Bann zu ziehen vermag wie die Kleinkunstliebhaber in Hoheneck, die nicht nur eine Zugabe fordern.
„Denn jedem Schrecken wohnt eine Komik inne“
Vielleicht muss man Humoristin werden, wenn der Vater bei der Bundeswehr ist und der Großvater belgischer General. Schon als Kind war die kleine Christine bei belgischen Militärparaden zu Ehren der Königsfamilie dabei, das martialische Uniformspektakel mit seinen absurden Ritualen reizte sie schon damals zum Lachen und Lästern. „Denn jedem Schrecken wohnt eine Komik inne“, sagt sie. Und so hat sie nach einem kurzen Exkurs an die Uni (Germanistik und Romanistik) Schauspiel studiert in München, spielte in Baden-Baden, beim Stuttgarter Renitenz und tingelt seit 2005 als Comedian zuerst mit Partnerin, dann alleine über die Kleinkunstbühnen der Republik.
Auf der Überholspur des Erfolgs hat Christine Prayon nicht abgehoben. Wer sie zu Hause in ihrer bescheidenen Dreizimmerwohnung im Stuttgarter Westen besucht, wird mit einem durchstrichenen S-21-Kleber an der Tür und einem silbernen Garderobenmodell aus den 50er-Jahren empfangen, das noch eine Hutablage hat. Das haben sie und ihr Lebensgefährte Marc Hetterle mit der Wohnung übernommen. Für ein schickes Ambiente fehlen Geld und Lust. Im Regal liegen Loriot-DVDs und Sprecherziehung für Schauspieler einträchtig neben T.C. Boyle, John Irving und einem präparierten Polizeihelm. „Agent provocateur“ steht darauf. Es ist das Geschenk eines Freundes, eine kritische Anspielung auf den umstrittenen Polizeieinsatz im Schlossgarten. Christine Prayon hat den Helm schon auf einigen Montagsdemos getragen. Immer dann, wenn sie nicht auf der Bühne stand und mal wieder Tanja Gönner gab.