: Das informierte, vernetzte und gelikte Subjekt
DIGITALES ZEITALTER Der Netzkritiker Geert Lovink analysiert Aspekte wie Selbstmanagement in der heutigen Internetkultur
Das Internet und überhaupt das digitale Zeitalter wird in seiner Neuartigkeit von manchem mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert verglichen. Auch wenn das eine relativ weitgehende These sein dürfte, ranken sich rund ums Internet deshalb zunehmend theoretische Bemühungen in verschiedenen Disziplinen wie Kommunikationswissenschaft und Soziologie. Das neue Buch des niederländischen Medientheoretikers Geert Lovink, „Das halbwegs Soziale“, versucht die verschiedenen Stränge aufzunehmen und zu einem innovativen und zugleich vollständigen Ganzen zu verweben.
Phänomene wie das Web 2.0, die sozialen Netzwerke, die Blogs, die Kommentare oder Wikipedia sollen, so Lovinks Absicht, verstanden und theoretisch eingeordnet werden.
Das Buch löst die selbst gestellte Aufgabe nur teilweise ein. Die Kernthese soll wohl sein – ohne dass das eindeutig gesagt wird –, dass zu allen möglichen Internetphänomenen noch Theorie fehle. Geliefert werden dann zur Beseitigung dieses wahrgenommenen Mangels eher relativ freihändig aneinandergereihte Einzelgedanken. Der Verfasser wirkt derartig „drin“ in der digitalen Welt, dass sich ein Leser, der nicht 24 Stunden am Tag online ist, deutlich öfter als einmal fragt, wo eigentlich das Problem und die von Lovink reklamierte Gegenposition ist. Auch die Diskurse und Positionen, auf die sich der Autor bezieht, werden meist eher geheimnisvoll angedeutet als wirklich erläutert, das dafür dann aber sprachlich äußerst entschieden.
Treffend erkennt Lovink, wenn auch verstreut über das Buch, dass die genauen Ursachen und Wirkungen der heutigen Internetkultur empirisch noch nicht umfassend analysiert wurden. Wirklich verwunderlich ist das aber nicht, ist das Internet doch immer noch ein recht neues und vor allem ein überaus dynamisches Phänomen.
Lovink rechnet offenbar nicht wirklich mit der Fortexistenz von Menschen wie dem Rezensenten, der zwar mindestens 50 Mails am Tag bekommt, aber kein Handy und keinen Facebook-Account hat, nicht twittert, nicht bloggt, fast nie Internetkommentare schreibt oder liest und als Wikipedia-Autor nur dann auftritt, wenn gravierende Fehler korrigiert werden müssen. Sonst hätte er sich einigen besonders spannenden Fragen einer Internettheorie zuwenden können: Muss man Facebook ernstlich wichtig finden? Und muss man mit den Internetkommentaren ein Medium intensiv konsumieren, das ersichtlich durch einen Überhang extremer Meinungen geprägt ist? Und was wird die große Verbreitung von Basiswissensbeständen über Wikipedia, die allerdings mit Trivialisierung und oft auch flagranten Fehlern und Auslassungen einhergeht, mit unserem Wissensbestand und unserem kulturellen Gedächtnis tun?
Dass das Internet die Demokratie vitalisieren kann, aber auch ein Element ihrer Trivialisierung und Entpolitisierung sein könnte, da hat Lovink vermutlich recht. Doch ist das keine neue Erkenntnis. Das Gleiche gilt für das Problem der Informationsüberflutung durch das Internet in seiner Ambivalenz. Dass Informationen wichtig sind, gleichzeitig aber so unterschiedliche Probleme wie Reizüberflutung und eine schwindende Fähigkeit, sich auf komplexe Gedanken und lange Bücher einzulassen, drohen könnten, wird schon eine Weile diskutiert.
Nutzt man das hier rezensierte Buch als eine Art Fundgrube, um die eine oder andere Anregung zu bekommen und zugleich manches an einem Ort zusammengeführt zu finden, so kann man durchaus zu Lovinks Werk greifen. Sucht man dagegen durchgreifende neue Ideen, gute Lesbarkeit und systematische Argumentationen, sollte man von dem Buch die Finger lassen. FELIX EKARDT
■ Geert Lovink: „Das halbwegs Soziale. Eine Kritik der Vernetzungskultur“. Aus d. Engl. v. Andreas Kallfelz. Transcript, Bielefeld 2012, 240 S., 22,80 Euro