Im SUV durch die zerschossene Stadt

UN-MISSION Der kosovo-albanische Autor Beqë Cufaj führt in „projekt@party“ selbstgefällige Aufbauhelfer vor

Das alles ist hochinteressant – weil Cufaj offensichtlich Insidereinblicke in sein Thema besitzt

VON THOMAS WINKLER

Das Land liegt irgendwo „da unten“. Vielleicht ist es Bosnien und Herzegowina, vielleicht der Kosovo, womöglich sogar Afghanistan oder der Kongo. Das Land hat einen verheerenden Krieg hinter sich, es steht seit Jahren unter UN-Protektorat und dient nun als Zufluchtsort des Protagonisten von „projekt@party“.

Beide, das Land und der Held, bleiben ohne Namen, und das aus gutem Grund: Beqë Cufaj erzählt in seinem Roman nur scheinbar ein individuelles Schicksal. Eigentlich dient ihm sein namen-, gesichts- und weitgehend charakterloser Romanheld nur dazu, ein System und seine Defizite offenzulegen. Die eigentliche Hauptfigur ist die international agierende, mit Hilfsgeldern in Milliardenhöhe finanzierte Aufbauindustrie.

Die persönliche Tragik des Helden, der nach dem Tod seines Kindes und einer gescheiterten Ehe sein altes Leben hinter sich zu lassen versucht, wird zwar geschildert, aber bleibt – man darf vermuten: absichtsvoll – farblos. Wesentlich größeren Eifer verwendet der in Stuttgart lebende Kosovo-Albaner Cufaj auf die Beschreibung des Lebens der Aufbauhelfer in dem Land, das geprägt ist von „einer schrecklichen, widerwärtige Gerüche erzeugenden Unsauberkeit“, in dem, wie der Ich-Erzähler erschüttert registrieren muss, nicht einmal die Hotelheizung angemessen funktioniert und die Generatoren nur stundenweise Strom liefern – zumindest für die einheimische Bevölkerung.

Mit Wohlwollen dagegen nimmt der Protagonist zur Kenntnis, dass er „als designierter Leiter der Einheit für Erziehungswesen“ nicht nur einen „Anspruch auf einen Fahrer, einen Dolmetscher und Assistenten“ besitzt, sondern auch auf „einige andere für notwendig erachtete Privilegien“. Die alle einzuklagen dauert ungefähr ein Drittel des mit gut 140 Seiten arg schmalen Romans, aber als schließlich alle Formalitäten erledigt sind, kann die Aufbauarbeit beginnen: Die besteht aus Meetings, Arbeitsessen und Telefonaten mit der UN-Zentrale in New York, in denen nicht vorhandene Fortschritte in Projekten in Aussicht gestellt werden, die bei noch mehr Meetings dann auch nicht richtig entwickelt, geschweige denn überhaupt umgesetzt werden.

Die Tage enden stets im Tricky Dick, einer von zwei Amerikanern betriebenen Kneipe, in der den Wiederaufbauarbeitern aus aller Welt jeder überflüssige Kontakt zur einheimischen Bevölkerung erspart bleibt. Dort erzählt sich ein „merkwürdiges Amalgam“ aus gut bezahlten Gutmenschen Schnurren von vergangenen Einsätzen in Nachkriegsgebieten auf anderen Erdteilen, trinkt Beck’s und ist sich einig: „Das hier unten sei die größte und bedeutendste Mission in der Geschichte der Vereinten Nationen.“

Cufaj geht es vor allem darum, alle Vorurteile zu bestätigen: Die „atemberaubende Summen, Millionen und Abermillionen“ von Dollars kostenden Missionen sind ineffektiv. Die Aufbauhelfer pflegen hingebungsvoll ihre Beamtenmentalität, sind vor allem mit der Selbstorganisation und internen Intrigen beschäftigt und verschleudern durch Unfähigkeit und Dünkel die ihnen anvertrauten Gelder, anstatt sie sinnvoll einzusetzen. Und schließlich benehmen sie sich auch noch wie Feudalherren, brausen mit von einem Fahrer gesteuerten SUV durch zerschossene Städte, drängeln sich mit Blaulicht durch den Dauerstau, werden hofiert von einem Hofstaat aus Fahrern, Übersetzern, Kellnern, Putzfrauen. Cufajs Protagonist kann schon bald „die Gesichter dieser berufsmäßigen Weltverbesserer nicht mehr sehen“, fügt sich jedoch widerspruchslos darein, selbst einer zu werden.

Das alles ist hochinteressant, weil Cufaj offensichtlich Insidereinblicke in sein Thema besitzt, aber nicht unbedingt Literatur. Seine Charakterzeichnungen sind leblos, seine Figuren bleiben Abziehbilder. Der Plot ist eigentlich nicht vorhanden, die Dialoge sind hölzern und die Metaphern oft aus der Mottenkiste, denn Cufaj ist nicht eben ein großes sprachliches Talent. Zudem vergibt er die Chance, das absurde Potenzial seines Settings zu entwickeln.

Denn eigentlich liegt in „projekt@party“ der Keim zu einem Roman, der für das internationale Wiederaufbauwesen hätte sein können, was „Catch 22“ für das moderne Militär ist.

So funktioniert „projekt@party“ vor allem als Anklage gegen die Zustände in der Hilfsindustrie, als Kampfschrift gegen selbstgefällige Gutmenschen und als Aufforderung, die Finanzierung solcher Hilfsprojekte nicht einzustellen, aber doch ihre Organisation grundsätzlich zu überdenken. Auf dass sie nicht mehr nur vor allem den Gebern ein gutes Gewissen verschaffen, sondern Ländern wie Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Afghanistan oder Somalia tatsächlich geholfen wird.

Beqë Cufaj: „projekt@ party“. Secession Verlag, Zürich 2012, 160 Seiten, 19,95 Euro