: Sind die Studiengebühren am Ende?JA
LEHRGELD 2005 wurden sie eingeführt. Jetzt werden nur noch in zwei Bundesländern Studiengebühren verlangt. In Bayern gibt es ein Volksbegehren dagegen – und in Niedersachsen wird gewählt
Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.
Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.
Stephan Weil, 54, ist SPD-Spitzenkandidat bei der Wahl in Niedersachsen
Der Besuch einer Hochschule muss unabhängig vom Geldbeutel der Eltern möglich sein. Dafür kämpfe ich. Ende 2013 wird es keine Landesregierung mehr geben, die die Einführung von Studiengebühren anstrebt. Dies ist ein Erfolg sozialdemokratischer Hochschulpolitik. Studiengebühren von 500 Euro pro Semester sind sehr viel Geld für Studierende. Ein Viertel der Studierenden lebt von weniger als 600 Euro im Monat. Die Erhebung der Studiengebühren ist sozial ungerecht, denn sie hält Menschen vom Studium ab.
Karl Eder, 50, Geschäftsführer des Landeskomitees der Katholiken in Bayern
Wir sind gegen Studiengebühren. Durch die finanzielle Mehrbelastung werden junge Menschen aus Familien mit geringen finanziellen Mitteln davon abgehalten ein Studium aufzunehmen. Studienbeiträge bedeuten auch, dass Studierende zusätzlich Zeit für die Finanzierung ihres Studiums aufbringen müssen. Das führt häufig zu einer verlängerten Gesamtstudiendauer und zu erhöhten Gesamtstudienkosten. Die Möglichkeit von Studienkrediten beschleunigt zudem die frühe Verschuldung junger Menschen.
Michael Piazolo, 53, Generalsekretär Freie Wähler und Initiator des Volksbegehren
Die zwei verbleibenden Landesregierungen vertreten mittlerweile eine Minderheitsmeinung. Die Freien Wähler Bayern haben deshalb ein Volksbegehren gestartet, damit die Bürger selbst über die Gebühren entscheiden können. Gesellschaftlich und wirtschaftlich ist es nicht sinnvoll, den Zugang zu hochwertiger Bildung mit Kosten zu belasten. Die durch den Wegfall der Studiengebühren entstehende Finanzlücke muss aus dem Staatshaushalt finanziert werden. Angesichts milliardenschwerer Rettungsschirme für Banken und Spekulanten sollte sich der Staat das auch leisten können.
Basak Yavuz, 32, hat in Amerika studiert, ist Jazz-Sängerin und lebt in Istanbul
Ich habe mein ganzes Leben lang Unmengen an Studiengebühren bezahlt. In der Türkei und in den USA, für einen Master-Abschluss in Architektur und einen in Musik. Ich bin Jazz-Musikerin, mein monatliches Einkommen ist niedrig. Das lässt sich mit der Menge an Studiengebühren, die ich bezahlt habe, gar nicht vergleichen. Wenige hundert Euro pro Semester sind leistbar. Aber wie sieht das in zehn Jahren aus? Von 500 Euro auf 1.000 oder mehr? Ich bin froh, dass das ein Ende hat. Zumindest für mich. Und hoffentlich auch für Deutschland! Das wäre auch ein gutes Beispiel für andere Länder.
Philipp Hoff, 37, ist selbständiger Steuerberater und kommentierte per E-Mail
Bei der Frage nach der Berechtigung von Studiengebühren wird immer wieder „soziale Gerechtigkeit“ als Argument für ein gebührenfreies Studium angeführt. Aus Gründen „sozialer Gerechtigkeit“ bin ich deshalb für die staatliche Finanzierung jeder Berufsausbildung. Nicht die Betriebe sollten Azubis vergüten und Zeit und Geld in die Ausbildung investieren. Sondern Betriebe und Azubis sollten ebenfalls circa 10.000 Euro Unterstützung pro Jahr aus Steuermitteln erhalten – das wäre sozial gerecht! Oder ist eine Ausbildung zum Bäcker den Befürwortern gebührenfreien Studierens etwa weniger wert als ein Studium der Agrarwissenschaften?
NEIN
Annette Schavan, 57, Bundesministerin für Bildung und Forschung (CDU)
Studiengebühren kommen den Studentinnen und Studenten selbst zugute. Die Erfahrung zeigt: In Ländern ohne Gebühren gibt es am Ende weniger Geld an den Hochschulen. Moderate Studiengebühren sind eine Frage der Gerechtigkeit. Akademiker haben gute Jobaussichten, ihre Arbeitslosigkeit ist gering. Warum soll die Krankenschwester mit ihren Steuern das Studium des künftigen Chefarztes finanzieren? Ein Geselle muss für den Meistertitel zahlen, angehende Akademiker aber nicht – das ist nicht einzusehen.
Horst Hippler, 66, ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz
Die Perspektive für Hochschulfinanzierung durch die Landeshaushalte ist nicht gut: Begrenzter Handlungsspielraum der Länder, weiterhin umstrittene Mitfinanzierung des Bundes, drohende Schuldenbremse. Die Bevölkerung wird auf Dauer nicht akzeptieren, dass für Meisterausbildung und Kindergarten gezahlt werden muss, gut verdienende Akademiker aber kaum zahlen. Sozial verträglich umgesetzt, etwa wenn erst in der Phase der Berufstätigkeit gezahlt würde, sind Studienbeiträge durchaus ein Zukunftsmodell.
Stefan Winter, 48, Professor für Wirtschaft, zahlt freiwillig Gebühren an seine alte Uni
Deutschland hat für die Ausbildung seiner 17.000 im Ausland tätigen Ärzte drei Milliarden Euro ausgegeben. Davon fließt kein einziger Euro über Steuern zurück. Ärzte verdienen selbst in Deutschland zwei Millionen Euro mehr im Leben als Nichtakademiker. Akademische Topverdiener sollten ihr Studium nachträglich bezahlen. Von einem DAX-Vorstand mit einem Jahreseinkommen von fünf Millionen Euro darf man wohl ein Prozent nachträgliche Universitätsabgabe, also 50.000 Euro pro Jahr, erwarten! Wo ist hier das Problem?
Johanna Wanka, 61, ist niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur (CDU)
Niedersachsen hat nicht trotz, sondern wegen der Studienbeiträge 171.000 Studierende, so viele wie noch nie. Studienbeiträge führen zu einem besseren Studium. Hier kommen 17 Studierende auf einen Dozenten. Solange Eltern zum Beispiel für einen Kitaplatz in Hannover bis zu 244 Euro im Monat zahlen oder einem Maurer sein Meisterabschluss 4.000 Euro kostet, ist es vermessen, Studienbeiträge von 83,33 Euro im Monat als sozial ungerecht zu bezeichnen. Ein rein steuerfinanziertes Studium wäre Umverteilung von unten nach oben. Das hatte schon Marx erkannt, der kritisch von unentgeltlichen „höheren“ Unterrichtsanstalten sprach.
Stephan Jansen, 41, ist Präsident der privaten Zeppelin-Universität am Bodensee
Mit Karl Marx und Wilhelm von Humboldt: Nein! Abschaffung von Studiengebühren, aber Kindergartengebühren? Das ist sozialstaatlich asozial. Deutschlands sozialer Lift der herkunftsunabhängigen Bildungsbiografien ist defekt: Wir haben nun erstmals mehr Bildungsabsteiger als -aufsteiger. Der private Finanzierungsanteil ist – international fast einzigartig – bis zur Grundschule höher als bei Hochschulen. Eine herkunftsunabhängige, nachlaufende und einkommensabhängige Beteiligung ist nicht nur sozial, sondern auch machbar. Die Zeppelin-Universität hat mit diesem Modell eine höhere Bafög-Empfänger-Quote als gebührenfreie Unis.