Zwischen Bad Taste und Authentizität: Hamburg und Western: Das hat Tradition
Hamburger Soundtrack
von Nils Schuhmacher
Hamburg und Western: Das hat Tradition. Eingeborene erinnern sich mit Wehmut an die Ausflüge mit ihren Eltern zu den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg, wo sie Pierre Brice, Gojko Mitić und Erol Sander zuschauten, wie sie in großer Waffenungleichheit, aber nicht unerfolgreich, uniformierten Horden und Kuhhirten trotzten.
Auch „Anna’s Country- & Westernsaloon“ in Meiendorf kommt manchen in den Sinn. Den einen, weil hier seit gefühlten 150 Jahren diverse Western- und Countrybands Cowboy-behütete Kenner mit bodenständigem Sound versorgen. Den anderen, weil die Tür auch für Kostverächter stets offen stand. Zum Beispiel für alternative Jugendliche, die in den 1990er-Jahren auf der Flucht vor gewalttätigen rechten Kontrahenten Kurzzeitasyl beantragten und fanden (sich für Musik und Südstaaten-Style aber wenig erwärmen konnten).
Zu unterschlagen ist allerdings auch nicht die vergleichsweise negativ eingefärbte Erfahrung ihrer FreundInnen im Country Club in der Farmsener August-Krogmann-Straße. Ihr Plan, in skurriler Atmosphäre „mal ein Bier“ zu trinken, endete einst jedenfalls mit einem veritablen Rausschmiss inklusive körperlichen Verweises.
In diesem Spannungsfeld erhob 2000 die Butch Meier Band ihr Haupt, denn jede noch so abseitige Welt mag sich noch so sehr mit Händen und Füßen gegen Eindringlinge wehren. Wenn deren Antrieb die zu Tode langweilige eigene Szene ist, dann sind sie nicht zu stoppen. So verpasste Butch Meier zunächst der heimatlichen Punk/Hardcore-Welt eine Bad-Taste-Frischzellenkur, ergoss sich aber auch in andere Gefilde, nicht unbedingt in den Farmsener Country Club, aber doch in Annas Saloon.
Jonnie Schulz, seinerzeit Schlagzeuger dieser Band, hat die gesammelten Erfahrungen unter dem eher sperrigen Titel „Kein Zutritt für Hinterwäldler“ (Audiolith/Verbrecher) 2013 zu einem Buch verarbeitet. Mehr oder weniger entlang der Faktenlage wird die Geschichte der Gruppe aufgeblättert. Und wer nicht gerade Weltliteratur erwartet (aber bevorzugt solche liest), darf sich freuen, dass Schulz am 19. 11. daraus im Laden Lockengelöt vorträgt.
Wer es doch lieber „authentisch“ mag, aber den Weg in den Hamburger Osten (!) scheut: Bob Wayne präsentiert eine Woche vorher im Hafenklang „Outlaw Country“: Western-Musik, so speckig wie seine Jacke, mit Texten so weit entfernt jedenfalls von meiner Welt wie der Segeberger Kalkfelsen.
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