: „Wir arbeiten an Popmusik“
My House Is Your House – Labels in Berlin (IV): Thaddeus Herrmann ist nicht nur der ruhende Pol in der „de:bug“-Redaktion. Gemeinsam mit dem in Manchester lebenden Shlom Sviri betreibt er seit 1999 auch das Electronica-Label City Center Offices
VON PATRICK BAUER
Die Puppe ist ganz einfach Thaddi. Steht ein bisschen moppelig, im schlabbrigen Kapuzenpullover, auf das DJ-Pult gestützt. Der Oberkörper bewegt sich zaghaft vor und zurück, während das bebrillte Gesicht unter dem dunklen, krausen Haar gleichzeitig zufrieden und konzentriert wirkt. Thaddeus Herrmann mag die Miniaturversion seiner selbst, aufwändig und detailgetreu hergestellt von der Künstlerin Julia Lipinsky als eine ihrer raren DJ-Puppen im Ken-Format. Herrmann lächelt. Es fällt kaum auf, weil er ohnehin niemals unfreundlich guckt, aber doch: So was begeistert ihn, solch grundsätzlich unsinniger, liebevoller Kram.
Dabei weiß er ganz genau, dass Lipinsky einen echten Thaddi-Moment eingefangen hat: wenn er für Berliner Clubs viel zu früh elektronische Harmoniesounds auflegt, etwa im NBI, und dabei wirkt wie eines jener Kinder, die beim Malen mit dem Buntstift ständig äußerst angespannt ihre Zunge über die Lippe gleiten lassen. Ein wenig nerdig, ein wenig anders vielleicht. „Ach, auflegen halt“, sagt Herrmann. So, wie er jetzt halt im kuscheligsten Mitte-Café darüber redet, ein paar Straßen entfernt von den Räumen der de:bug, zu deren Redaktion er gehört und von wo aus er mit einem alten Freund aus Manchester sein eigenes Electronica-Label betreibt.
Bei de:bug bildet Herrmann einen Kontrast zur umnächtigten Szenevaganz der Kollegen. Und ist doch allseits beliebter und geschätzter Teil von ihnen. Genauso verhält es sich mit City Centre Offices, seinem Musiklabel. Irgendwie befindet es sich seit der Gründung 1999 in einem Paralleluniversum, dreht sich bewundernswert sorglos und finanziell solide um die eigene Achse, obwohl die Hochzeit verkopfter Laptopkünstler eigentlich vorbei ist. Hier entzieht man sich gängigen Marktpositionierungen, werkelt einfach vor sich hin. Zugleich würde ohne City Centre Offices etwas fehlen – womöglich der Beweis, dass manchmal eben doch guter Wille zählt. Es würden ehrlichen Sätze fehlen wie: „Wir arbeiten an Popmusik.“ Thaddi Herrmann sagt weiter: „An schöner Musik. Wir bringen Musik von Freunden raus, von Leuten aus der Label-Familie. Wäre das nicht so, dann würde es mir wohl kaum so viel Spaß machen. Bei all dem Stress.“
Herrmann meint den zunehmenden Druck von Vertrieben, den Zwang, sich straffen Release-Mechanismen zu unterwerfen. „Das fühlt sich komisch an“, sagt er und führt schnell in den Hinterraum der Redaktion, wo das Glücksgefühl zu spüren ist, das ihn überkommt, wenn seine Familie wieder Zuwachs bekommen hat. Es riecht nach frischen Schallplatten. Sie stehen zuhauf in einem Regal, allesamt mit pittoresk verzierten, träumerischen Covern. Das neue Album des schwelgerischen Dancefloor-Duos Boy Robot, oder „Porn Sword Tobacco explains Freedom“, die verfrickelte Momentaufnahme von Henrik Jonsson, oder auch das aktuelle Werk des Low-Fi-HipHoppers Cyne. „So halten wir das Label interessant“, sagt Herrmann, „HipHop ist ebenso möglich wie Post-Rock.“
Indietronics könnte die Klammer sein. Oder besser: Thadditronics. Zumindest war es die klassische Electronica-Idee, die Herrmann und sein Ko-Labelchef Shlom Sviri hatten, als sie Ende der 90er-Jahre in Sviris WG-Küche in Manchester saßen. Die beiden hatten sich auf einer Gartenparty zur Love Parade kennen gelernt, und Herrmann merkte rasch, dass zwischen ihnen unausgesprochen eine Gemeinsamkeit herrschte. Grund genug, es mit einem Label zu versuchen.
Heute ist Sviris Plattenladen, den er damals schon hatte, zum erfolgreichen Mailorder-Vertrieb geworden, die CCO-Arbeit wird zwischen Berlin-Mitte und Manchester aufgeteilt. Herrmann ist regelmäßig in Manchester, er liebt die Stadt. Zu Beginn, als weder er noch Sviri wusste, wie all das am besten gemacht wird – Platten pressen und Musiker betreuen –, saßen sie noch nächtelang beisammen und pappten Aufkleber auf die puristisch schwarzen Hüllen, die in der ersten Phase rasch zum Erkennungszeichen wurden.
Herrmanns Mutter half ab und an. Ohnehin hatte die Radiojournalistin den kleinen Thaddi schon immer mit ins Haus des Rundfunks genommen. Später wurde der Geschichtsstudent zum Ü-Wagen-Reporter und Autor für den Kirchenfunk. Doch es fehlte die Musik. Es fehlte beruflich die Leidenschaft, die für Herrmann, als fünf Jahre alt war, mit Jean Michel Jarre begonnen hatte, ihn später Depeche Mode bei WOM kaufen ließ, dann mit Alec Empire Anfang der Neunziger im aufgewühlten Kreuzberg zu gemeinsamen „Bassterror“-Partys brachte – und die ihn gleichzeitig zu einem begeisterten Brit-Pop-Fan machte.
Heute wird er mit keiner der Musikaktivitäten reich. Dafür hat er die Freiheit, bald wieder ein paar Remixe zu machen, bei den neuesten Aufnahmen seiner Künstler anwesend zu sein und dann wieder einen euphorischen Artikel über etwas ganz anderes zu schreiben. Herrmann genießt diese Ungebundenheit, er sagt aber auch: „Ein bisschen fehlt mir so etwas Geerdetes wie die Arbeit beim Radio.“ Vielleicht ist er deshalb auch ein wenig Nostalgiker: Er vermisst die Lounge des vorvorletzten WMF-Standorts, weil man sich dort noch zur Musik unterhalten konnte; er mag England lieber, wohl wegen der früheren Rave-Romantik; und er freut sich, wenn Carl Craig mal wieder die guten, alten Tage wiederbelebt. Nein, die Zukunftsfreude hat ihn nie verblendet. Man könnte auch sagen: Herrmann ist so etwas wie der letzte hippe Westberliner. Zwar lebt er mittlerweile nicht mehr zurückgezogen im heimischen Tiergarten, sondern in der Torstraße. Doch im Wohnzimmer wippt ja die Thaddi-Puppe. Und erinnert ihn an das Wesentliche.