Restexpressionen mit Wollsiegel

Jetzt bitte keinen Wortwitz wie „bestrickend“ machen: Das Kölner Museum Ludwig zeigt eine durchweg souveräne Überblicksschau über das bisherige Werk der Künstlerin Rosemarie Trockel. Eindeutiger Höhepunkt sind ihre längst kanonisch gewordenen Strickbilder im so genannten Heldensaal

Distanz zu sich hat sie: Noch die imposantesten Gesten werden bei Rosemarie Trockel durch Selbstkritik abgefedert

VON ISABELLE GRAW

Der Ausstellungstitel klingt zunächst wie eine offensive Wiederbelebung von weiblichem Essentialismus und Biologismus: Noch auf der Einladungskarte hatte Rosemarie Trockel, die als erfolgreichste deutsche Künstlerin gilt, ihre Mid-Career-Show als „Menopause“ angekündigt. Für Ausstellung und Katalog wurde diese Betitelung dann in „Post-Menopause“ abgewandelt – so als handele es sich bei den so beschworenen Wechseljahren um eine längst vergangene Phase (die gewöhnlich nur Frauen zugeschrieben wird und sich durch das Versiegen der Reproduktionsfähigkeit, Hitzewallungen und Schlaflosigkeit auszeichnen soll). Ein Zustand also, auf den die 52-jährige Trockel nunmehr zurückzublicken vorgibt. Er wird quasi für überwunden erklärt.

Dieser Titel ist aber weniger autobiografisch zu lesen denn als Metapher für ein künstlerisches Verfahren, das stets kritisch auf sich selbst zurückblickt, Geschlechterklischees zur Disposition stellt und sich zugleich durch starke ästhetische Setzungen auszeichnet. Wie verfehlt es wäre, sie rein als persönliche Aussagen oder allein im Hinblick auf Geschlechterverhältnisse zu deuten, geben einem die Arbeiten von Trockel selbst unausgesetzt zu verstehen. Sie machen es einem ebenfalls schwer, naiv an ihre Bedeutung zu glauben oder gar davon auszugehen, dass es in ihnen in erster Linie auf ihre vermeintlich inneren Eigenschaften ankäme. Auf einer Collage ist etwa von einem „Ich“ die Rede, das über seine Filme nur lachen könne. Die Möglichkeit, dass die Künstlerin selbst ihre Arbeit nicht ernst nimmt, ist demnach gegeben. Ebenfalls in der aktuellen Ausstellung im Kölner Museum Ludwig zu sehen ist ein abgelehnter Titelentwurf für die Zeitschrift du, wo sich Rosemarie Trockel mit schweren Brüsten und dickem Bauch übertrieben als Schwangere inszeniert, dabei sämtliche Klischeevorstellungen über schwangere Frauen überziehend. Und eine frühe Zeichnung teilt mit, dass das Fehlen eines Werkes noch lange nicht heiße, dass keines da sei.

Tatsächlich kann von einem Werk im traditionellen Sinn einer abgeschlossenen Einheit mit durchgehender Signatur keine Rede sein. Die Arbeiten von Trockel senden vielmehr Zeichen für ein eher gebrochenes denn selbstherrliches künstlerisches Selbstverständnis aus. Andererseits: Wenn die Künstlerin selbst derartige Einschränkungen macht respektive in den Raum stellt, dann kommt dies natürlich einer ultimativ überlegenen Geste gleich. Und als Demonstration von Überlegenheit lässt sich diese Ausstellung insgesamt charakterisieren.

Dies liegt vor allem an der souveränen Bearbeitung der Ausstellungsform und den überzeugenden Präsentationsmethoden – beides große Leistungen dieser Ausstellung. Der Auftakt fällt mit einem monumentalen Vorhang theatralisch aus, in einer Art Zwischenspiel sieht man sich mit ansprechend hinter Plexiglas präsentierten Zeichnungen sowie einer monumentalen Rasterstruktur im Stile von Donald Judd und Sol Le Witt konfrontiert, die als Regalsystem für diverse Objekte fungiert. Und zuletzt bildet der so genannte Heldensaal den absoluten Höhepunkt – eine Art Gemäldegalerie mit Strickbildern. Trockel hat diesen Raum buchstäblich in Besitz genommen und mit großer Selbstverständlichkeit für sich reklamiert.

Gleich dem Notensystem einer Partitur wird im Heldensaal das gesamte Strickrepertoire der Rosemarie Trockel in Petersburger Hängung vorgeführt, was neue Anordnungen und unterschiedliche Konstellationen von Bildformaten produziert. Da hängen „Klassiker“ wie das Redundanz verkörpernde Strickbild mit dem Motiv des Wollsiegels, das lakonische „Hammer und Sichel“-Logo neben dem wie selbstverständlich integrierten Hakenkreuz-Muster sowie eine Reihe jener Bilder, die durch Schriftzüge zu Sprechakten mutieren: etwa „cogito ergo sum“ oder das Bild mit den beiden Sprechblasen „Bitte tu mir nichts“ und „aber schnell“, das als Sinnbild des „Double Bind“ fungiert. Locker dazwischengehängt wurden ein sich aufrippelndes Strickkleid inklusive Strickzeug sowie Fotoarbeiten und auf Siebdruck übertragene Fotos von Strickmaschen.

Digitale Bildschirme erzeugen darüber hinaus einen Tempowechsel, der das malerische Kontinuum punktiert. Hier werden jene Filme gezeigt, in denen ein Wollknäuel, Strickwaren oder Wollfäden gleichsam zu Akteuren avancieren. Wohl nie zuvor ist so deutlich geworden, dass Trockel mit ihren mittlerweile kanonischen Strickbildern nicht nur eine international begehrte Marke schuf, sondern mehr noch das Stricken, das zuvor eher mit Kunsthandwerk und weiblicher Beschäftigungstherapie assoziiert worden war, als legitimes malerisches Verfahren etablierte. Die Masche tritt folglich als malerische Figur auf.

Dazu eignet sie sich deshalb besonders gut, weil Anonymität und Ausdruck in ihr zusammenfallen. Sie ist bei Trockel zumeist maschinell hergestellt und legt zugleich ein eigenwilliges Verhalten an den Tag, zumal Maschen bekanntlich unterschiedlich fallen. Anders ausgedrückt, ist die Masche bei Trockel Träger einer Art „Restexpression“. Entscheidend ist nur, dass es parallel zu dieser bildrhetorischen Funktion der Masche eben auch Filme gibt, die der Funktion von Strickware im Alltag systematisch nachgehen. Das Interesse an soziologischen Fragen und Weltbezug ist also ebenso ausgeprägt wie die spielerische Erzeugung kunstspezifischer Verweise und malerischer Spuren.

Apropos Malerei. Besonders malerisch wirken jene monumentalen Formate, die den imposanten Abschluss des „Heldensaals“ bilden: Strickbilder, die lockere, grobe Maschen aufweisen und in undefiniert anmutenden Farben – Rostbraun und Blasslila – gehalten wurden. Ein heller Holzrahmen fasst sie ein, über den das Strickmaterial jedoch hinausragt, so als sei es nicht zu bremsen gewesen. Ihr Titel greift den ursprünglichen Ausstellungstitel „Menopause“ auf. Doch im Gegensatz zu Künstlerinnen wie Mary Kelly oder Yvonne Rainer, die Phänomene wie „Wechseljahre“ oder „Geburt“ einer antiessentialistischen, konzeptuellen Untersuchung unterzogen, lässt sich bei diesen monumentalen Bildern auch beim besten Willen keine unmittelbare Verbindung zu der mit dem Wort „Menopause“ umschriebenen Lebensphase ziehen. Kein Zweifel: Diese Bilder nehmen Autorität für sich in Anspruch und reihen sich selbstverständlich in die Tradition der modernistischen Abstraktion ein. Somit wäre ihr protoweiblicher Titel die bittere Pille, die Trockel den Betrachter(inne)n zumutet und die sie gerne schlucken.

Mit einer vergleichbar monumentalen, aber auch ortsbezogenen Geste sieht man sich bereits im Eingangsbereich konfrontiert. Dort bedeckt ein massiver und schwerer, aus rot eingefärbten Wollfäden bestehender Wandvorhang die gesamte Fensterfront. Dieses Rot scheint die lang umstrittene Bodenfarbe dieses Museums aufzugreifen, die inzwischen zu seinen Markenzeichen gehört. Allein dadurch, dass die blutrote Farbe von den Wollfäden nur bis zu einer bestimmten Höhe aufgesogen wurde, entsteht eine Bildstruktur, die formal sowohl an Batikmuster wie auch an die harschen Farbübergänge bei Clifford Still erinnert. Man muss auch unweigerlich an die blutroten Schüttbildern von Hermann Nitsch denken. Gleichwohl hat Trockel symbolisch Nutzungsmöglichkeiten vorgesehen, was dem schweren und theatralischen Vorhang ein Moment von Leichtigkeit verleiht. An einigen Stellen weist er Öffnungen auf, so als fordere er dazu auf, sich in ihn hineinzubegeben.

Eine zusätzliche Brechung erfährt dieser Vorhang noch dadurch, dass ein paar der herunterhängenden Fäden von Tellern buchstäblich aufgefangen werden, was den Eindruck von Spaghetti mit Tomatensauce aufkommen und unweigerlich an Martin Kippenberger und dessen legendäre Vorliebe für das Spaghetti-Motiv denken lässt. In den Auftakt dieser Ausstellung ist also eine Hommage an Martin Kippenberger eingelassen.

Nur: Noch die imposantesten Gesten werden bei Trockel durch Selbstkritik abgefedert. In unmittelbarer Nähe zum Vorhang hängt zum Beispiel ein lampenartiges Objekt, eine so genannte Abfallkugel aus Keramik, die exemplarisch für jenen aussortierenden und selektierenden Prozess steht, der dieser Überblicksausstellung vorausgegangen ist. Für jene Objekte, die dieser Sichtung standhielten, hat Trockel die bereits erwähnte Rasterstruktur respektive ein monumentales Regalsystem entwickelt. Jedes „Fach“ dieser Struktur ist quadratisch, hat Bildformat und ist jeweils einem Objekt vorbehalten, wobei das Spektrum dieser Objekte von Skizzen, Editionen und Performancerelikten bis zu Büsten, Erinnerungsstücken und Fotos reicht. Eine Art „Personal Choice“, und zwar aus heutiger Sicht. So arbiträr wie überzeugend. Alte Bekannte – etwa der „Schizopullover“ oder der „Profumo“-Spiegel – erscheinen aufgrund ihrer Präsentation in diesem Display in ganz neuem Licht. Von jeder Patina bereinigt und irgendwie frisch. Zu diesem aktualisierenden Effekt trägt sicherlich auch die Tatsache bei, dass sich Trockel für Präsentationsmethoden und Hängetechniken stets der neuesten und avanciertesten Techniken bedient. Insbesondere die Collagen und Zeichnungen im Nebenraum weisen ausgefeilte Rahmenkonstruktionen auf.

Wenn es auch zutrifft, dass zahlreiche Arbeiten ein gewisses Maß an Distanz zu sich selbst markieren, dann gibt es mindestens ebenso viele Hinweise darauf, dass der Ernst der Lage erkannt worden ist. So erinnert eine neue Arbeit mit dem Foto einer Gerichtssituation daran, dass sich der in Institutionen ausstellenden Künstler unweigerlich dem Urteil und der Rechtsprechung durch die kunstbetriebliche Öffentlichkeit aussetzt. Künstler(innen) sitzen hier gewissermaßen zu Gericht. Unmittelbar vor dieses Foto wurde eine an die Körperfragmente von Robert Gober erinnernde hydraulikbetriebene Roboterfigur montiert, die mit einem Schwamm abwechselnd den Boden und den auf dem Foto applizierten Spiegel sauber wischt. Gereinigt werden der Boden der Institution sowie das modernistische Material par excellence – der Spiegel –, und zwar von jener Milch, die aus einer Milchspritzmaschine herausschießt. Hier kommt alles zusammen – das Bild der stillenden Mutter versus reine modernistische Oberfläche, wobei sich beide gegenseitig in Schach halten. Man könnte auch sagen, dass Trockel die Aufgabe, ihre Arbeit von allzu demonstrativ „weiblichen“ Spuren zu reinigen, an dieser Stelle selbst in die Hand genommen hat.

Noch bis 12. 2. 2006 Die Autorin ist Herausgeberin der Zeitschrift Texte zur Kunst