LeserInnenbriefe
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Verbraucherfeindlich

betr.: „Ein paar Drosseln sind schon da“, taz vom 28. 10. 15

Man sollte denken, dass die EU-Parlamentarier umfassendere Möglichkeiten haben als die anderen Parlamente; vermutlich haben sie auch jede Menge Lobbyisten, die ihnen bei der Vorbereitung auf die anstehenden regulierenden Gesetzespakete die Hand und das Hirn führen, ohne dass wir als Stimmbürger diese Lobbyisten als Teil des Meinungsbildungsprozesses sehen können – nur die Ergebnisse. Die Netzneutralität ist durch diese letzte Abstimmung mit den schönen Sonderklauseln also offenbar schon weitgehend zu Grabe getragen, danke. Vielleicht sollten wir uns den ganzen offenbar weitgehend manipulierbaren, teuren EU-Parlamentarierzirkus sparen, solche industriefreundlichen, verbraucherfeindlichen Ergebnisse haben die verschiedenen EU-Kommissionen und Kommissare schon ohne die EU-Abgeordneten geschafft, die eigentlich die Gesetzesvorlagen kontrollieren und mitgestalten sollen. Jeder Abgeordnete und jede Fraktion sollte bei Abstimmungen die Lobbyisten benennen müssen, die an dem Meinungsbildungsprozess der Abgeordneten Teil hatten! Vielleicht kann man die an den Folgekosten beteiligen. Dann könnten wir auch den Abstimmungen über die die Bürgerfreiheit knebelnden Ceta und TTIP-Abkommen fröhlich entgegensehen.

ERNST-FRIEDRICH HARMSEN, Berlin

Nette Melodien

betr.: „Ein Meter Fortschritt“, taz vom 28. 10. 15

Die Bundesregierung will, dass ich langfristig einen Smart Meter – neudeutsch: einen intelligenten Stromzähler – eingebaut bekomme. Finde ich gut. Endlich eine kleine Kiste im Keller, die nette Melodien komponiert und abspielt, mich mit Namen begrüßt und einen flotten Spruch parat hat, wenn es mir einmal nicht so gut geht. Stromverbrauchsdaten erfassen und an meinen Energiedealer senden kann die Kiste angeblich auch. Was an einem Stromzähler jetzt „intelligent“ sein soll, wird sich mir wohl nicht mehr erschließen – der zu befürchtende unkontrollierte Datenabfluss meiner Daten (!) und dessen intelligente Nutzung wird sich sicher einstellen.

WOLFGANG SIEDLER, Langenhagen

Experimentelles Bauen

betr.: „Teures Modell für Aussteiger“, taz vom 26. 10. 15

Ihr schreibt ja über das Bauvorhaben etwas aus der Perspektive der Skeptiker und der reinen Öko-Linie. Ich bitte euch, mal die Blickrichtung zu ändern und die innovative Seite für neue experimentelle Bauformen anzusehen. Da sind 8.000 Dollar eine gut angelegte Summe, um mit einem bereits ausgearbeiteten Konzept zu starten, natürlich eigene Erfahrungen zu machen und das Konzept weiterzuentwickeln. Und genau hier liegt der Charme des Projekts, aus den Erfahrungen des Tuns neue Wege zu finden und auch zu starten obwohl noch Bedenken da sind, halt im Prozess zu optimieren.

Ich denke, dass das Projekt www.Schloss-Tempelhof.de dafür ein guter Rahmen ist. Genug unternehmerische Kompetenz, damit es kein Finanzdesaster wird mit Verarmung der Idealisten, und richtiger Experimentierfreude. Ich wünsch dem Projekt viel Erfolg und neue Schubkraft für experimentelles Bauen in der deutschen Betonwüste.

JULIUS SCHLOSSER, Grünberg

Menschlichkeit und Ordnung

betr.: „EU-Gipfel. Beschlüsse voller Lücken“, taz vom 27. 10. 15

Frau Merkel hat sich die Flüchtenden nicht herbeigewünscht. Einfluss auf Kleinasien hat Europa nicht, muss aber den Strom der Flüchtenden kanalisieren, Ordnung erhalten und menschlich sein. Europa sucht und hat dort seine Vorteile bei Exporten und Importen. Von beiden wollen wir nicht lassen: den Rüstungs­exporten nicht und der Ölabhängigkeit auch nicht. Innerhalb der EU-Grenzen ist unser Wirtschaften auch die bestimmende Konstante, wo doch die Hilfe zum Überleben vorrangig ist.

Mit Claude Juncker wurde der Ziegenbock zum Ziergärtner bestimmt. Mit Lux Leak hat er ein Musterbeispiel zur Eigennutzenmaximierung für „sein“ Land vorgelegt. Alle verhalten sich so, und darum steckt der Karren im Dreck. Nun verlangt der Ziergärtner in ihm Solidarität. Ein Begriff,mit dem die Osteuropäer nichts mehr zu tun haben wollen, für die Alt-EU ein Fremdwort. Sind Juncker und Merkel mit ihrem Anmahnen von Solidarität endlich auf einem gangbaren Steg oder werden sie weiter versuchen, Demokratie noch marktkonformer zu machen gemäß dem Glauben ,die Summe von Eigennutzen befördert das Gemeinwohl?

Mit seinem Gebet am Ende der Friedenspreisrede hat Kermani die skeptischer Glaubenden ins Boot geholt mit der Formel: glauben gleich wünschen.Was haben sich wohl die vielen Funktionsträger in der Paulskirche gewünscht? Heute steht in der öffentlichen Diskussion wieder der Wunsch, menschlich zu sein, dem Ordnungsbedürfnis entgegen. Dabei sind doch beide aufeinander angewiesen. Menschlichkeit bedarf der Ordnung, um wirksam zu bleiben. Das andere ist Barbarei.

KLAUS WARZECHA, Wiesbaden