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Archiv-Artikel

Zwischen Wut und Angst

Mali bedroht von Spaltung und Scharia

Eigentlich gelten Malier als gelassen und immer auf der Suche nach einem Konsens. Vielleicht ist das westafrikanische Land auch deshalb so beliebt als afrikanisches Urlaubsziel gewesen: keine aufdringlichen Verkäufer wie vielerorts in Tansania, mehr Sicherheit als etwa in Südafrika, dafür jede Menge Gelassenheit und Kultur. Doch diese beschaulichen Zeiten sind vorbei. Selbst dem Ruhigsten reißt langsam der Geduldsfaden. Denn niemand hat die Bürger gefragt, ob sie die Teilung ihres Landes wollen und auch noch die Einführung der Scharia befürworten. Beide Entwicklungen will in Mali kaum jemand hinnehmen.

Viele Menschen halten gerade die von Tuareg geführte Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA), die im April 2012 ihren eigenen Staat im Norden ausrief, für die Verursacher der ganzen Misere. Die MNLA habe Terroristen und Islamisten Tür und Tor geöffnet und den Norden unsicherer denn je gemacht. Sogar in der Hauptstadt Bamako, wo das riesige, unfruchtbare Wüstengebiet im Norden weit weg ist, will kaum einer die Trennung. Mali gilt als unteilbar. Die meisten wollen nicht, dass eine kleine Minderheit, die nicht einmal die Unterstützung der gesamten Tuareg-Bevölkerung hat, gewalttätig über die große Bevölkerungsmehrheit entscheidet. Genauso verhält es sich mit der Einführung der Scharia. Mali ist ein muslimisch geprägtes Land, in dem sich mehr als 90 Prozent der Bevölkerung zum Islam bekennen. Aber es war bisher keine laute, aggressive Religionsauslegung. Führende Imame betonen gerne, dass sie die offizielle Einführung der Scharia überhaupt nicht brauchen. „Wir halten uns doch auch so an die islamische Gesetzgebung“, sagt Sidi Konaké, Mitglied des höchsten islamischen Rates. Damit vertritt er eine Mehrheitsmeinung.

Im Norden führen die Islamisten bereits eine harte Auslegung der Scharia ein. Die Vorstellung, dass dies im ganzen Land passiert, sorgt für Angst und Schrecken. Es ist nicht nur die Vorstellung von abgehackten Händen nach Diebstahl, sondern die Wut darüber, dass sich Islamisten massiv ins Privatleben einmischen. Oder wie es die Muslimin Fattyta Cisse in Sévaré sagt: „Es ist doch meine Sache, ob ich einen Schleier trage oder nicht.“

KATRIN GÄNSLER, taz-Korrespondentin in Westafrika