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Archiv-Artikel

Welcome home im Wrangelkiez

FREMDE HEIMAT Was haben Brooklyn Heights und Kreuzberg gemeinsam? Unsere Autorin war zu Forschungszwecken in New York

„Scheißtourist“, sagt der blonde Junge. „Bleibt, wo ihr hergekommen seid“

Kaffee: Fair Trade. Einrichtung: Vintage. „Kreuzberg“, sagt Karl. Ich gebe ihm recht. Wir sitzen in Brooklyn. Brooklyn Heights, um genau zu sein, denn ganz Brooklyn ist ja so groß wie halb Berlin. Aber dieser Teil von Brooklyn, der direkt hinter der Brooklyn-Bridge beginnt, hat tatsächlich viel mit unserem Kreuzberger Kiez gemein.

In einem Ecklädchen gibt es Miso-Chips zu kaufen, die organic und handmade sind. Hier geht man zu Fuß, man wohnt im Altbau, sogar die Traufhöhe ist wie in Kreuzberg. „Nur, dass es eben netter ist als bei uns“, sagt die Freundin, die uns beherbergt. Weltläufiger. Durchmischter. „Jeder macht seins. Seinen Style, sein Frühstück, seinen Job. Und niemand zankt herum, ob man seine Schrippe Wecke oder Semmel nennt.“ Peinlich sei das.

Damit ist sie bei ihrem Lieblingsthema. Unsere Freundin ist kein New-York-Girl, sondern lebt die meiste Zeit – so wie wir auch – in einer der letzten billigen Wohnungen Kreuzbergs. In New York ist sie nur manchmal wegen des Jobs. Dann wohnt sie bei einem Designer, der sich seine Brooklyn-Wohnung alleine nicht leisten kann. So verklärt sie dieses ganze New-York-Ding ein bisschen. Und solange sie nicht übertreibt, bin ich gern dabei.

Im Moment übertreibt sie. Finde ich. Vielleicht ist es nicht mal Ann-Marie – so ihr Name –, die übertreibt, sondern mir wird das Bild einfach zu nett, das sie von New York zeichnet. Eben sind wir nämlich in eine Tapas-Bar eingekehrt, ganz im Osten von Heights, und hier gibt’s sowohl Organic-Food ohne Schadstoffe als auch viele Hispanics und Schwarze, und alle drängeln sich in dieser Tapas-Bar. Mit schwulen, ungeheuer netten Latinos, die ungeheuer leckere, sehr originale Guacamole servieren und dabei dauernd lächeln. Das ganze Lokal ist voller gut angezogener Black-and-white-people, es summt wie im Bienenkorb – das Ganze erinnert an eine Werbung von United Colours of Benetton.

Das ist zu viel. Das ist Kitsch. Und genau das sagt Karl jetzt auch. Dass amerikanische Immigrationspolitik seit dem Immigration Act von 1924 gescheitert und seitdem aus der Krise nicht wieder herausgekommen sei. Dass es nirgendwo so viele illegale und rechtlose Einwanderer gebe wie hier. Und dieses Brooklyn-Heights-Dauergrinsen, dieses Lass-deine-Tasche-nieder-egal-wo-du-herkommst, das sei doch alles nicht echt.

Ich kämpfe mich durch die verdammt echte Hitze des Lokals, um noch eine Runde zu bestellen. Als ich zurück bin, sind meine Freunde schon bei Berliner Mieten. Aufwertung, Verdrängung, Mieterschutz. „Wenigstens der Wille zur Gemeinschaft“ sei da, höre ich Karl sagen. Und lehne mich zurück. Und bin im Geiste schon zu Hause. Kreuzberg meine ich, nicht Brooklyn Heights.

Als am Morgen danach unser Flugzeug landet, kommt uns unsere Stadt sehr klein und sehr leer und sehr piefig vor. Geschenkt. Es ist fünf Uhr nachts. Erst im Wrangelkiez, auf Höhe der Biobäckerei, treffen wir Leute. „Hey, pass auf“, sagt jemand zu Karl. Wir drehen uns um, grinsen, weil wir das noch so drauf haben, und sagen „sorry“. Ein blonder Junge steht da, der eigentlich ganz nett aussieht. Jetzt scheint er aber zu überlegen, was er uns noch mit auf den Weg geben will. „Scheißtourist“, sagt er. Und präzisiert, Karl hätte ihm seinen „Scheißrollkoffer“ über die Füße gezogen. „Bleibt, wo ihr hergekommen seid.“

TINA VEIHELMANN