„Die Roma sollen endlich selbst mitreden“

MULTIKULTI Mit dem „Rromano-Bündnis“ gründet sich in Berlin derzeit ein Dachverband der Roma-Selbstorganisationen. Die taz sprach mit mehreren InitiatorInnen über den Markt für Roma-Projekte, Alleinvertretungsansprüche und die Rolle des Zentralrats

■ Isidora Randjelovic, Romnja- und Sintezza-Fraueninitiative IniRomnja

■ Joschla Weiß, Akhate-Trägerverein des Rroma-Aether-Theaters

■ Milan Pavlovic, Rroma-Informations-Centrum

■ Slobodan Savic, Roma Kultur Rad Berlin

INTERVIEW ALKE WIERTH

taz: Frau Randjelovic, Frau Weiß, Herr Pavlovic, Herr Savic, was hat Sie bewogen, ein Bündnis zu gründen?

Isidora Randjelovic: Die IniRomnja, der ich angehöre, ist eine informelle Gruppe. Sie besteht aus relativ erfolgreichen Frauen, Wissenschaftlerinnen, Studentinnen, Künstlerinnen, die sich alle auf ihre Art ihren Stand im Leben erkämpft haben. An dem Bündnis beteiligen wir uns, weil wir die Selbstorganisation von Roma unterstützen. Denn in Berlin wird seit Jahren eine Fürsorgepolitik für Roma praktiziert, die wir ablehnen.

Warum?

Randjelovic: Weil in dieser Fürsorgeindustrie Roma selbst auf einen Klientelstatuts reduziert sind und wenig Möglichkeiten haben, mitzubestimmen. Sie haben nicht nur keinen Zugang zu den Finanzmitteln, sondern auch keine Möglichkeit, Konzepte zu entwickeln, Arbeit zu gestalten, MitarbeiterInnen oder Zielgruppen auszuwählen. Sie werden zwar als ProjektmitarbeiterInnen, als Brücke gebraucht, als Ansprechpartner für die Community. Aber wenn es um inhaltliche Gestaltung von Projekten geht, sind Roma praktisch nicht vorhanden.

Milan Pavlovic: Wir alle haben in Nicht-Roma-Organisationen gearbeitet und dabei eigene Vorstellungen entwickelt, wie Roma-Projekte aussehen sollten. So entstand die Idee, uns zusammenzutun, um mit unseren Ideen stärker nach außen wirken zu können. Bislang sind Unterstützungsangebote für Roma meist in den Händen großer sozialer Träger. Denen gelingt es aber nicht, den tatsächlichen Bedarf der Zielgruppe zu decken.

Warum nicht?

Pavlovic: Weil sie keine Roma einbeziehen.

Randjelovic: Da hat irgendjemand an einem Schreibtisch ein Projekt entwickelt, dann ausgeschrieben und vergeben, und dann werden auch gern mal ein paar Roma gefragt, ob sie mitmachen wollen. Aber so funktioniert das nicht. Erst wollen sie uns erklären, was unsere Probleme sind, und dann vorschreiben, wie wir sie lösen sollen.

Joschla Weiß: Das hat etwas mit der Sichtbarkeit beziehungsweise Unsichtbarkeit von Roma zu tun. Das ist auch ein Motiv für unser Bündnis: Roma sichtbar zu machen.

In Berlin haben die Roma doch in den vergangenen ein, zwei Jahren recht viel Aufmerksamkeit bekommen. Unter anderem gibt es ein Roma-Strategie-Papier des Senats, in dessen Umsetzung mehrere hunderttausend Euro investiert werden.

Randjelovic: Es gibt sehr verbreitete stereotype Vorstellungen über uns, die sich mit Rassismus vermischen. Die finden sich auch in den Strategiepapieren wieder, wie sie etwa der Senat entwirft. Da werden Roma als Fahrende bezeichnet, weil das in den Köpfen von Beamten, Politikern, Verbandsvertretern immer noch als Synonym für Roma gilt. Zu Gleichberechtigung und Empowerment von Roma kommt man so aber nicht.

Das Bündnis soll also auch ein Player auf dem Markt der Projekte werden?

Randjelovic: Ja, auch das ist ein Motiv. Die Logik der Verwaltung bei der Vergabe von Mitteln für Projekte benachteiligt kleine Vereine oder Träger. Und es gibt derzeit in Berlin einfach keine Roma-Selbstorganisation, die ausreichend etabliert ist. Aber zu diesem Begriff „Markt“ muss man sagen: Es geht auf diesem Markt um romabezogene Politik. Diese Fördergelder werden ausgeschüttet zu dem Zweck, Roma voranzubringen. Es ist zynisch, dass die Selbsthilfeorganisationen der Roma dabei bislang nicht berücksichtigt werden.

Slobodan Savic: Viele wollen sich derzeit mit Roma beschäftigen, eben weil es dafür Gelder gibt. Bisher hat es aber kein großer Träger geschafft, mit seinen Projekten tatsächlich nennenswerte Erfolge zu erzielen – etwa, Roma auf dem ersten Arbeits- oder Ausbildungsmarkt unterzubringen. Die Gründe dafür weiß keiner! Wir wollen versuchen, den Problemen an die Wurzel zu gehen.

Die Mehrheitsgesellschaft will immer, dass wir mit einer Stimme sprechen. Das nervt

MILAN PAVLOVIC

Die Roma sind eine sehr vielfältige Einwanderergruppe, aus unterschiedlichen Herkunftsländern mit verschiedenen Sprachen und Religionen. Warum wollen Sie deren Bedürfnisse besser als andere kennen?

Randjelovic: Wir wollen die Selbstorganisation der Roma unterstützen, aber wir wollen kein Bündnis sein, das in Anspruch nimmt, für alle oder mit einer Stimme zu sprechen. Wir diskutieren ja auch untereinander unterschiedlich.

Savic: Uns verbindet die Sprache, das Romanes. Wir alle arbeiten seit durchschnittlich 20 Jahren mit Roma und sehen, dass viele der Probleme, die die jetzt Kommenden haben, dieselben sind, die unsere Eltern und wir vor 20, 30 Jahren hatten: Wohnung, Arbeitsmarkt, Qualifikation. Uns geht es um Gleichberechtigung für alle Roma.

Weiß: Mir ist es sehr wichtig, dass unser Bündnis eine Eigenvertretung ist, die für alle offen ist. Die Belange von Roma vertritt, ohne dabei einen universellen Alleinvertretungsanspruch zu erheben. Es ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit, dass es ein solches Bündnis jetzt gibt. Die Aufmerksamkeit, die auf den Roma derzeit liegt, zwingt uns, diesen Weg jetzt zu gehen, uns zu verbünden. Und wenn wir das schaffen, unsere Kräfte zu bündeln, so unterschiedlich wir mit unseren Zielsetzungen auch sind, dann ist das eine positive Kraft nach vorn.

Die in Berlin recht aktive Jugendorganisation Amaro Foro ist nicht dabei – warum?

Pavlovic: Wir respektieren Amaro Foro, sie machen wichtige und gute Arbeit und wir werden gerne mit ihnen zusammenarbeiten. Aber sie sind keine Selbstorganisation, sondern sehen sich als Jugendorganisation für Roma und Nicht-Roma.

Ist das ein Ausschlussgrund?

Savic: Wir wollen unsere eigenen Probleme selbst lösen. Wir wissen doch am besten, was gut für unsere Kinder ist.

Ist das – bis zum Ende gedacht – ein Weg hin zu Segregation: eigene Schulen für Roma-Kinder und so weiter?

Randjelovic: Das ist sehr interessant: Immer, wenn wir Roma versuchen, uns selbst zu organisieren, wird uns Identitätspolitik unterstellt. Dabei ist fast die ganze Politik weiß dominiert und dennoch sagt niemand, die weißen Deutschen hätten sich heimlich verabredet, alle anderen auszuschließen. Diese strukturelle Ungleichheit wird nicht als Identitätspolitik weißer Deutscher benannt, sondern als selbstverständlich genommen. Uns geht es darum, dass Roma sich selbst organisieren und in der Roma-Politik endlich selbst mitreden. Und zwar gleichberechtigt und nicht bloß auf gleicher Augenhöhe, was nämlich immer bedeutet: ohne Ressourcen und ehrenamtlich zu arbeiten. Wir werden gerne mit allen kooperieren. Aber das Bündnis sollen Roma-Selbstorganisationen bilden.

■ Im „Rromano“-Bündnis schließen sich mehrere Berliner Roma-Selbstorganisationen zusammen: das Rroma-Aether-Theater mit dem Akhate-Förderverein, das Rroma-Informations-Centrum, das Rroma Kultur Rad und die Fraueninitiative IniRomnja. Die Idee sei, „Positionen von VertreterInnen, Organisationen und einzelnen Stimmen zu vereinen, um eine heterogene, aber solidarische Politik des Self-Empowerments zu betreiben“, heißt es im Positionspapier des Bündnisses. Wichtige Zielsetzungen sind die Vernetzung und Qualifizierung von Roma-AktivistInnen sowie die regelmäßige Förderung von Roma-Selbstorganisationen.

Wie stehen Sie zu Organisationen wie dem Zentralrat deutscher Sinti und Roma?

Savic: Es hängt mit der Geschichte, der Biografie der Einzelnen zusammen, wie nah sie sich da fühlen. Unsere Familien sind meist als Gastarbeiter oder Kriegsflüchtlinge nach Deutschland gekommen. Aber viele von uns haben auch Familienangehörige, die in Lagern der Nazis getötet worden sind.

Randjelovic: Der Zentralrat hat eine wichtige Rolle gespielt bei der Errichtung des Mahnmals für die Völkermordopfer. Die Erinnerung daran ist für Roma und Sinti wichtig und die Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma verdient Wertschätzung. Im Flüchtlingsbereich hat sich der Zentralrat dagegen nicht besonders hervorgetan. Die Roma und Sinti sind viel zu vielfältig als Gruppe, als dass eine Organisation alle vertreten könnte. Aber wir werden uns auch nicht gegeneinander ausspielen lassen.

Pavlovic: Es nervt, dass die Mehrheitsgesellschaft immer erwartet, dass wir mit einer Stimme sprechen müssen, uns nicht streiten dürfen. Auch Geschwister streiten sich. Das ist natürlich. Im deutschen Parlament streiten die Leute sich täglich, und auf dem FDP-Parteitag fiel sogar das Wort „Arschloch“ gegenüber dem Vorsitzenden! Ich finde das gut! Streiten ist produktiv für die Zusammenarbeit.

Und wie geht es konkret weiter?

Weiß: Wir haben ein gemeinsames Positionspapier verfasst und beim Senat eingereicht. Derzeit planen wir die Gründung des Dachverbands auch als Verein. Dann hoffen wir, unsere Projekte umsetzen zu können.