: Bußgang vor die TV-Gemeinde
KEHRTWENDE Lance Armstrong wird laut einem Zeugen bei Talkerin Oprah Winfrey ein Dopinggeständnis ablegen. Was das für ihn und den Radsport bedeutet, ist völlig unklar
VON TOM MUSTROPH
Einem Augenzeugen des Montagnacht aufgezeichneten Interviews mit TV-Talkerin Oprah Winfrey zufolge hat Lance Armstrong zugeben, für seine sieben Tour-de-France-Siege gedopt zu haben. Das sagte der auf Anonymität bestehende Zeuge der Nachrichtenagentur AP.
Bewahrheitet sich diese Einschätzung auch bei der Ausstrahlung des Gesprächs am Donnerstagabend, dann hat der Texaner eine bemerkenswerte Kehrtwende vollzogen. Bisher stritt der Radprofi Doping stets ab und attackierte massiv diejenigen, die ihn des Sportbetrugs beschuldigten. Tyler Hamilton etwa wurde Opfer eines Kneipenstreits in Aspen im Jahr 2011, nachdem er im Fernsehen seinen Ex-Boss des Dopings und des Dopinghandels bezichtigte. Greg LeMond, ein früher Kritiker Armstrongs, wurde mit dem Wissen um einen sexuellen Missbrauch, dessen Opfer er als Kind war, unter Druck gesetzt. Floyd Landis schließlich, dessen Anzeige erst die – später eingestellten – Ermittlungen der US-Staatsanwaltschaft wegen des Dopingeinsatzes von Steuergeldern beim Rennstall US Postal ausgelöst hatte, wurde von Armstrong als „notorischer Lügner“ beschimpft. Sie alle dürften nun – trotz manch eigener früherer Dopingverwicklung – als aufrechte Streiter für die Wahrheit dastehen.
Ob Armstrong solch ein Imageziel auch verfolgt, ist zweifelhaft. Die Gelegenheit zur kompletten Beichte hatte er schließlich mehrfach ausgeschlagen. Dem Wall Street Journal zufolge wies er im Mai 2012 ein Gesprächsangebot der Usada zurück. Kurz vor Ende der Frist verzichtete er im Oktober auch auf die öffentliche Anhörung im Verfahren der US-Antidopingbehörde. Als es im Dezember 2012 tatsächlich zu einem Treffen zwischen Armstrong und seinem Ankläger Travis Tygart von der Usada kam, soll Armstrong nach Berichten des Wall Street Journals wütend den Raum verlassen haben, als ihm Tygart im Falle einer Komplettbeichte allenfalls eine Reduzierung der lebenslänglichen Sperre auf acht Jahre anbot.
Die Lust auf Rennen und vor allem die Verdienstmöglichkeiten bei professionellen Triathlon-Veranstaltungen dürften Armstrongs Motivation für das Treffen mit Tygart gewesen sein. Sie könnten auch der Hintergrund für das TV-Interview sein. Anders als Tygart kann Winfrey dem gefallenen Radstar zwar keinen Straferlass gewähren. Aber eine Absolution vor der amerikanischen Fernsehgemeinde ist drin. Gleiches hatte eine in Tränen aufgelöste Ex-Olympiasiegerin Marion Jones vor fünf Jahren erreicht. Auf Oprahs Couch konnte sie sich als arme Sünderin inszenieren. Dem harten Radsport-Cowboy Armstrong dürfte dies etwas schwerer fallen. Anders als die Sprinterin Jones stand Armstrong laut Vorwurf der Usada als Strippenzieher und Organisator im Mittelpunkt des Dopingsystems bei US Postal und den Folgeteams. Er nahm auch, dies legen von der Usada zusammengetragene Beweismittel nahe, aktiv Einfluss auf eine Vertuschung von positiven Dopingproben seitens des Weltradsportverbands UCI. Das ist eine höhere Stufe des Betrugs.
Was Armstrongs Interview für den Radsport selbst bedeutet, ist völlig unklar. Ein Geständnis auf eigenes Doping dürfte zumindest die Position von Johan Bruyneel schwächen. Armstrongs früherer Mentor und Teamchef befindet sich noch im Rechtsstreit mit der Usada. Die Steigbügelhalter des texanischen Cowboys unter der Funktionärsgarde wie die UCI-Granden Pat McQuaid und Hein Verbruggen, aber auch die Bosse der Rennorganisatoren ASO und RCS kommen erst unter Druck, wenn Armstrong Absprachen mit ihnen offenlegt.
Möglicherweise will Armstrong mit einem Teilgeständnis sogar seinem Ex-Kumpel und Intimfeind Floyd Landis eins auswischen. Der darf, wenn es zur Annahme seiner Anzeige wegen Dopinghandels mit Steuergeldern bei US Postal kommt, nach US-Recht auf einen beträchtlichen Anteil der Schadenssumme von circa 30 Millionen Dollar hoffen. Am Donnerstag, dem Tag der Ausstrahlung des Interviews, läuft die Frist für das Justizministerium aus, sich an die Seite von Landis zu stellen oder das Verfahren zu beerdigen. Der größte Clou wäre, wenn Armstrong sich zu Landis gesellt und zum Informanten gegen seinen alten Rennstall wird. Mitnehmen, was mitzunehmen ist, war schon immer seine Devise. Überraschungen sind also drin.