: Hoppelmusik auf höchstem Niveau
JUBILÄUM Die Russendisko-Kapelle „Rotfront“ liefert seit zehn Jahren den Soundtrack für eine Stadt im Wandel. Jetzt feiert sie im Kaffee Burger Jubiläum. Ein absolutes Muss: Die Bühnenqualitäten dieser Band sind legendär
VON THOMAS WINKLER
Der Rote Frontkämpferbund wurde 1924 gegründet und schon 1929 wieder aufgelöst. Macht fünf Jahre. Es ist also durchaus ein Grund für eine Sause, wenn die Band, die sich nach der Schutztruppe der Kommunistischen Partei benannt hat, nun schon doppelt so alt wird. Um eine Dekade Rotfront zu begießen, gehen Yuriy Gurzhy und seine Kapelle dorthin zurück, wo alles begann: ins Kaffee Burger.
Gleich drei Nächte lang wird dort ab heute das Jubiläum gefeiert. Und eins steht schon vorher fest: Bei den Konzerten dürfte es eng werden auf der Bühne. Nicht nur, weil die im Kaffee Burger nicht allzu groß ist, sondern weil schon der feste Kern von Rotfront nahezu zweistellig ist. Bei gewöhnlichen Konzerten zählt man dann schon mal 15 Musiker. Dem retrospektiven Anlass angemessen dürften nun noch der eine oder andere Gast, ehemalige Mitglieder und Weggefährten dazukommen. Auf ein halbes Hundert Mitglieder, die mal länger, mal sehr kurz dabei waren, kann Rotfront zurückblicken. Eine halbwegs exakte Zählung hat man schon vor Jahren aufgegeben.
Begnadeter Schwätzer
Nicht ganz unwahrscheinlich ist auch das Erscheinen eines gewissen Wladimir Kaminer. Schließlich war es der Schriftsteller, der an der Wiege der Band stand. Bevor Gurzhy 2003 das „Emigrantski Raggamuffin Kollektiv RotFront“ zusammen mit Simon Wahorn gründete, hatte er mit Kaminer die „Russendisko“ im Burger etabliert. Schon damals war der der mittlerweile 37-jährige gebürtige Ukrainer Gurzhy der musikalische Kopf hinter dem begnadeten Schwätzer Kaminer und weitgehend dafür verantwortlich, die Musik aufzuspüren, die den legendären Ruf der Tanzabende begründete und später auf den Russendisko-Compilations oder in der einige Jahre laufenden Radiosendung „Russendisko“ auf Radio Multikulti zu hören war.
Zehn Jahre später darf man feststellen: Rotfront waren vielleicht nicht die erste Band, die die nach dem Mauerfall formulierte Einschätzung, Berlin verwandele sich flugs in eine florierende Ost-West-Drehscheibe, aufgriffen. Aber sie waren bestimmt diejenigen, die diese Idee am konsequentesten umsetzten – und am fröhlichsten und lautesten. Mit Hoppelmusik auf höchstem Niveau, nicht ohne karikierende Züge, aber immer mit Spaßgarantie.
Tatsächlich hatten Gurzhy und der zwei Jahre jüngere, in Ungarn aufgewachsene Wahorn schon sehr bald postuliert: Rotfront sind, auch wenn sie sich nicht nur nach einer paramilitärischen Einheit, sondern auch nach der gleichnamigen sowjetischen Schokoladenmarke benannt haben, eine politische Band. Die Texte, das diktierten die beiden Sänger, Gitarristen und Chefs in die Blöcke der Journalisten, mögen vor allem von ihrem Alltag in Berlin handeln, aber gerade das sei politisch: Schließlich setzt sich das stark fluktuierende Personal der Band vor allem aus Immigranten zusammen, deren Wurzeln in Südost- und Osteuropa, in Australien, Tasmanien, den USA oder ab und zu auch Deutschland liegen.
So gesehen haben Rotfront vielleicht nicht musikalisch, aber inhaltlich mehr gemeinsam mit der Vielvölker-Reggae-Truppe Seeed als mit anderen Berliner Kapellen, die sich darum bemühen, osteuropäische Einflüsse von Klezmer über Polka bis Balkan-Pop zu verarbeiten. Ein vergleichbares Konzept besaßen noch die 17 Hippies, aber die haben sich von der völlig offenen Struktur schon lange verabschiedet, bestanden mehrheitlich immer aus Deutschstämmigen und sind musikalisch auch eher Richtung Frankreich orientiert.
Ein Chanson käme Rotfront kaum auf die Bühne. Vielleicht noch ein sentimentales Klagelied, aber meistens geht es munter vorwärts. Die Leute sollen schließlich vor allem eines: tanzen. Und das tun sie. Gerade mal zwei Alben haben Rotfront in diesen zehn Jahren veröffentlicht. Denn wirklich einfangen lassen sich die Faszination, die Euphorie auf Konserve wohl niemals. Rotfront waren und sind vor allem eine Live-Band. Nicht von ungefähr blieben die Verkäufe des Debüts „Emigrantski Raggamuffin“ (2009) und des zwei Jahre später erschienenen Nachfolgers „Visa free“ überschaubar.
Aber ihre Bühnenqualitäten machten schnell die Runde. Bald füllten Rotfront als Hausband nicht mehr nur das Kaffee Burger regelmäßig bis zum Anschlag, sondern gingen auf Tournee und begeisterten auf den Sommerfestivals problemlos Zehntausende. Dort sangen sie lauthals „Berlin ist keine Stadt, Berlin ist ein Heimatland“, während die Band quer durch den ehemaligen Ostblock stürmte. Damit aber nicht genug: jamaikanischer Ska, kolumbianische Cumbia und sogar Rap sind jederzeit möglich. „Purismus ist das Böse“, sagt Gurzhy, der vor 16 Jahren aus Charkiw nach Berlin kam. Er mag das Wort „Crossover“ nicht. Lieber vergleicht er die Musik seiner Band mit einem Cocktail: Jeder könne irgendwas zusammenmischen, aber am Ende kommt es darauf an, ob es den Leuten schmeckt.
Tanz die Postmoderne
Rotfront schmeckt den Leuten vielleicht deshalb so gut, weil die musikalische Integrationsleistung ganz organisch aus der personellen erwächst. Rotfront spielten und spielen das Laboratorium. Sie stehen im Kleinen vor denselben Aufgaben, denen sich Berlin seit der Wiedervereinigung stellen muss. Na gut: Gurzhy, Wahorn und ihre Mitstreiter müssen keinen Flughafen bauen. Aber dafür ist es ihnen gelungen, die Postmoderne zum Tanzen zu bringen.
Vor allem aber haben sie den Soundtrack geliefert, in dem sich eine Stadt im Wandel wiedererkannte. Die große Globalisierungsparty mag schon wieder am Abklingen sein, die Touristen aus aller Welt werden nicht mehr als Bereicherung empfunden, sondern als Plage, und Berlin beginnt zu zerfallen in Enklaven, in denen sich die jeweiligen Bewohner auf Dauer einrichten wie im heimischen Tal. Aber dafür sind Rotfront nicht verantwortlich. Sie haben diese Entwicklung nur musikalisch begleitet.
■ 10 Jahre Rotfront: 17.–19. 1., jeweils 21.30 Uhr, Kaffee Burger, Torstraße 60. Eintritt 10 Euro