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Archiv-Artikel

Tränen mit dem Föhn getrocknet

LAKONIE Mit Understatement und Reimen, die nicht auffallen, erzählen die Songs auf dem „Bärenmann“, dem neuen Album der Dresdner Band Bergen, von den kleinen Verlusten des Alters

Erstens: Älterwerden. Zweitens: Langzeitbeziehungen. Drittens: Sprechstundengespräche. Nicht gerade die Top Drei der most sexy Popsong-Gegenstände.

Es sind allerdings Themen, mit denen sich jene Menschen notgedrungen beschäftigen, die ein gewisses Alter erreicht haben. Ein Alter, in dem man einerseits notgedrungen Oberschenkelhalsbruch buchstabieren lernt, sich andererseits aber immer noch jung genug fühlt, um das Dasein von Popmusik strukturieren zu lassen.

So gesehen sind Bergen die perfekte Popband. Nicht obwohl, sondern gerade weil ihre Songs vom menschlichen Verfall handeln, von der ganz alltäglichen Verzweiflung und nicht zuletzt davon, wie man damit klarkommen könnte.

Mit „Bärenmann“, ihrem zweiten Album, bringen Bergen nun zur Blüte, was sie seit Mitte der nuller Jahre auf zwei EPs und ihrem Debüt „Gegenteil von Stadt“ angedeutet, aber noch nicht in letzter Konsequenz ausgeführt hatten: Die in Dresden beheimatete Band spielt einen Pop, der so federleicht ist, wie er seine Konsumenten ernst nimmt. Der sich nicht bemüht, nostalgisch eine vergangene Jugend zu reanimieren oder längst verlorene Leidenschaft zu suggerieren. Der erst gar nicht versucht, den Zustand 40 plus mit all seinen erbärmlichen Begleiterscheinungen zu leugnen.

Die Songs, die Mario Cetti und Neli Mothes schreiben, aber nur selten im Duett singen, handeln von Menschen, denen das Herumlungern in Kneipen schon lange keinen Spaß mehr macht, die manches, aber nicht alles erreicht haben und nur in den stillsten Stunden die eigene unaufgeregte Existenz ein klein wenig unerträglich finden: „Und Feinde sind auch schon lange keine mehr da“, singt Cetti ganz trocken.

Es sind Songs, die von Frauen berichten, die ihre Tränen mit dem Föhn trocknen, und Männern, die es nun endlich nach all den Jahren von einer Fachkraft bestätigt bekommen haben, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist: „Er weiß jetzt, dass er krank ist, das hat ein Arzt zu ihm gesagt / Ein Nachbar sagt: Das weiß ich eigentlich schon seit dem ersten Tag.“

Liebe und Gewohnheit

Songs wie das wundervolle „Iona“ erkennen die Ambivalenz der Liebe und erzählen von Paaren, die schon so lange zusammen sind, dass sie „für andere Menschen versaut“ sind und nicht mehr zwischen Liebe und Gewohnheit unterscheiden können. Von Paaren ist zu hören, die sich aneinander festhalten und gegenseitig stützen, was sehr schön ist, und sich, wenn die Beziehung wieder kaum zu ertragen ist, dann doch fragen, wie andere Paare es bloß so lange miteinander ausgehalten haben.

Die Kunst von Bergen besteht darin, dass die Songs des Septetts zwar große Gefühle abhandeln, aber es nicht nötig haben, allzu große Worte dafür zu bemühen. Dass sich diese kleinen Worte zwar reimen, aber die Reime immer ein wenig verzögert werden, damit es nicht so auffällt.

Die Lakonie der Texte findet ihre Entsprechung in Gesang und Musik: Cetti hebt auf „Bärenmann“ kaum die Stimme, ganz entspannt erzählt er eher, als dass er singt, während Mothes höchstens im Refrain ihn unterstützend warm umfängt. Die Band beherrscht bei aller Virtuosität vor allem das Understatement und spielt Folk, wie er nicht hingetupfter sein könnte. Ihre Musik ist so sanft, als wollte sie doch nur trösten, und erinnert ein wenig an Erdmöbel, die andere große Popband für Erwachsene, die dieses Land hervorgebracht hat.

Was wiederum kein Zufall ist, denn Ekki Maas, der bei Erdmöbel den musikalischen Direktor gibt, hat „Bärenmann“ produziert. Nun mühen sich die akustische Gitarren, möglichst nicht aufzufallen, Drums und Klavier gehen vorsichtig weite Wege, um mal einen Akzent setzen zu dürfen, und im Hintergrund brummen ganz wundervoll die Bläser. Das Alter ist ein Massaker, aber bei Bergen klingt es immerhin wie ein bequemer Polstersessel.

THOMAS WINKLER

■ Bergen: „Bärenmann“ (K&F/ Broken Silence)