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Archiv-Artikel

Das Inflationsgespenst kehrt zurück

Während in den USA die Zinsen steigen, bleibt die Europäische Zentralbank zögerlich – und das mit gutem Grund: Höhere Zinsen würden in Deutschland die Konjunktur völlig abwürgen. In anderen Ländern treibt das Wachstum die Preise hoch

VON NICOLA LIEBERT

Ein längst tot geglaubter Geist plagt derzeit die Währungshüter: die Inflation. Dass die US-Notenbank Fed auf ihrer Sitzung gestern nach Redaktionsschluss ihren Leitzins erneut erhöht auf dann 4 Prozent, galt daher unter Marktbeobachtern als sicher. Dass die Europäische Zentralbank (EZB), die seit Juni 2003 den Leitzins unverändert bei 2 Prozent ließ, schon auf ihrer morgigen Ratssitzung mitzieht, ist zwar unwahrscheinlich, aber vielleicht schon für Dezember, spätestens in der ersten Hälfte 2006 rechnen nicht wenige Volkswirte und Börsenhändler ebenfalls mit einer Zinserhöhung, die dann zu höheren Kreditkosten und damit sinkender Nachfrage und niedrigeren Preisen führen würde.

Es ist vor allem das Öl, das das Preisniveau weltweit in die Höhe schießen lässt. In den USA und auch einigen europäischen Ländern wie Irland und Spanien treibt dazu auch ein kräftiges Wirtschaftswachstum die Preise hoch. In den USA betrug die Teuerungsrate so zuletzt 4,7 Prozent. Da in Deutschland allerdings von Wachstum nicht die Rede sein kann, können die Unternehmen hier kaum Preissteigerungen durchsetzen, ebenso wenig wie die Gewerkschaften Lohnerhöhungen.

Im Oktober belief sich die Inflation hierzulande zwar auf 2,4 Prozent. Rechnet man aber Öl und Gas, Lebensmittel sowie die Anhebung der Tabaksteuer heraus, bleibt nur noch eine Kernrate von 0,9 Prozent. Doch schon warnt beispielsweise EZB-Mitglied Nout Wellink: „Hohe Ölpreise werden sich auch in höheren Heizkosten niederschlagen. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, werden auch die Löhne reagieren“ – und spätestens dann müsse die Zentralbank mit höheren Zinsen eingreifen, um das Entstehen einer Lohn-Preis-Spirale zu verhindern.

Dabei schien die Inflation, die nach den Ölkrisen der Siebzigerjahre grassierte, besiegt. Einerseits übten die Notenbanken, allen voran die Bundesbank, strenge Disziplin. Großzügige Zinssenkungen zwecks Konjunkturankurbelung waren tabu. Andererseits kam die Globalisierung der Geldpolitik zu Hilfe. Die massenhaft aus Ländern wie Taiwan oder China eingeführten Billigprodukte hielten die Konkurrenz hoch und die Preise niedrig.

Seit Monaten aber liegt die Inflation in der Euro-Zone über der Zielmarke von maximal 2 Prozent – derzeit bei 2,5 Prozent. Das Verbrauchervertrauen ist in letzter Zeit gestiegen, ebenso die Nachfrage nach Krediten und die Geldmenge. Unternehmen und Konsumenten könnten also eine Zinserhöhung gut wegstecken – so die Logik einiger EZB-Ratsmitglieder. Doch der Nochbundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement warnt, die EZB solle gefälligst die „mangelnde Wachstumssituation im Euro-Raum im Auge behalten“ und die Zinsen unten lassen. Ihm zur Seite steht Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der ebenfalls mit Nullwachstum zu kämpfen hat.

Eine Einheitsgröße passt bei der Geldpolitik eben doch nicht allen Ländern, müssen die Mitglieder der europäischen Währungsunion feststellen. In Deutschland jedenfalls würden höhere Zinsen die Konjunktur völlig abwürgen. Den Rest erledigt dann die geplante Mehrwertsteuererhöhung, durch die das eintritt, was eine Zinserhöhung eigentlich vermeiden sollte: Die Preise werden steigen.

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