Berliner Szenen: Juckeln in Spandau
Wachbär-Joker
„Gibt’s nur im Vorverkauf“, antwortet der Busfahrer auf meine Bitte nach einer Viererkarte. Es ist kalt, es ist Nacht, und er hat nicht ein einziges Haar auf dem Kopf; die Kopfhaut glänzt vom Schweiß, und ich könnte mein Spiegelbild darin erkennen, wäre ich nicht mit Geldrauskramen für den Kauf einer Einzelkarte beschäftigt.
Jemand anderes betritt den Bus und setzt sich hin; ich wundere mich, warum sich der Glatzkopf aus seinem Fahrersessel krachend erhebt: „So! Und dahinten auch noch mal den Fahrschein!“, röhrt er. Der Fahrgast sucht das Dokument umständlich raus und hält es in die Höhe. „Nach vorne kommen!“, befiehlt der Busfahrer und nickt den Fahrschein dort ab.
Auf dem Rückweg grummelt der Fahrgast in sich hinein und aus sich heraus. „Wenn es Ihnen hier nicht passt, dann gehen Sie doch dahin zurück, wo Sie herkommen!“, schallt es von vorne – der Fahrgast hat schwarze Hautfarbe. Auf den Gedanken, dass er genau dieses wohl gerade zu tun beabsichtigt, also von Spandau-Süd nach Spandau-Nord zu juckeln, kommt der Busfahrer nicht.
Nach ein paar Stationen steigt der Fahrgast aus; er humpelt in die Nacht hinein. Der Busfahrer fährt weiter, aber nur im Schritttempo – obwohl die Straße leer ist. Vielleicht fühlt er sich mit seinem rassistischen Spruch als Sieger und will das nun auskosten? Oder ist er verdeckter Ermittler – und hat sich mit seinem rumpelnden Gelenkbus eindeutig das falsche Gefährt ausgesucht? Doch da, die Pfötchen auf dem kalten Asphalt, sich trippelnd dem dickichten Straßenrand nähernd, mit schnuffigem, knuffigem Blick so gar nicht hierher passend: ein Waschbär. Der Schlüssel zum Herzen eines jeden Berliner Busfahrers.
Aber selbst Waschbären bekommen Viererkarten nur im Vorverkauf. Adrian Schulz
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