VORBEI AN DEN RAUCHENDEN JUNGEN MÄNNERN, DIE MIR UNANGENEHM SIND. ÜBERHAUPT: MENSCHEN IN GRUPPEN NERVEN – ES SEI DENN, SIE BRAUCHEN MEINE HILFE
: Hol euch doch die Killernacktschnecke!

Foto: Lou Probsthayn

Vogelfluglinie

von Rebecca Clare Sanger

Dass ich kaum noch Trägertops mehr trage, fällt mir auf, während ich die fünf Steintreppen nehme. Am Haupteingang stehen jetzt immer so viele dunkelhäutige und -haarige junge Männer, rauchend. Vielleicht, weil wir die Klassenräume gewechselt haben und nun alle vor allem den Haupteingang benutzen. Vielleicht auch wegen der aktuellen politischen Situation. Ich atme Zigarettenrauch ein und senke meinen Blick, obwohl ich den jungen Männern sowieso schnurzpiepegal bin. Es sei denn, der kleine, alte Mann im Anzug hält mir die Tür auf: Dann fühle ich mich sehr groß und sage sehr dankbar danke – auf Dänisch.

In unserer ersten Doppelstunde, Computer, bin ich schnell fertig mit „Geschichte Dänemarks, Arbeitsleben“ und lese deutsche Onlineartikel über die schwere Reise syrischer Flüchtlinge übers Mittelmeer. Ich lerne, dass man viel Geld und gute Nerven dafür braucht. Es sind die eiskalten, betuchten Machos denke ich, die hier ankommen.

In meiner ersten großen Pause sind mir die jungen Männer in ihren engen Stonewashed-Jeans und gebügelten Hemden, mit ihren kurzen Haaren, Bartstoppeln und Mobiltelefonen unangenehm. Auf dem Weg zur Cafeteria vergleiche ich ihre brandneuen, roten Citroëns mit unserem sich dahinschleppenden Familienmülleimer, vermisse das Väterchen im Anzug und hieve die Tür zur Cafeteria selbst auf.

Ich kann mit den schnatternden Frauen in Tunika und Kopftuch nicht reden. Ich kann mit niemandem reden. Nicht mit meiner afghanischen Klassenkameradin, deren Entjungferung meine spanische Freundin und ich vergangenes Jahr hautnah miterlebt hatten. An einem Wochenende hatte sie überraschend geheiratet, am Montag sich dann weinend beklagt. Susannah und ich taten so, als wären wir Expertinnen. Nun, einige Monate und eine Fehlgeburt später, sprechen wir kaum noch.

Auch auf Susannah, deren Großvater unter Franco im Polizeidienst war und die sich in Faxe bei Haribo ständig mit ihren marokkanischen Kollegen anlegt, habe ich keinen Bock. „Das kannst du deiner Frau doch nicht antun, sie einfach in den Analphabetenkurs zu stecken, wenn sie gar keiner ist!“, soll sie ihren marokkanischen Kollegen ermahnt haben. „Ich verstehe Muslime nicht“, sagt sie zu mir.

Lass mich in Ruhe, Susannah.

In der Cafeteria trinke ich allein meinen Kaffee. Hinter mir eine bunte Gruppe Austauschstudenten aus Deutschland, Italien, und England. Ein dicker Junge mit asiatischer Herkunft und deutschem Akzent ergreift – auf Englisch – das nerdige Wort: „Au Mann, Alter, stell dir mal vor, ein Killerwal, Mann, eine speziesauslöschende Krankheit, ein Amokläufer mit einem Ziel.“ Ich weiß nicht, was die Jungs gesehen haben, wann und auf welchem Kanal. Aber sie sprechen sehr laut darüber, die leisen Mädchen lächeln daneben höflich in ihre Tupperware. Der mit der asiatischen Herkunft hat nun seine Pointe erreicht: „Weißt du, was sie in Dänemark zu bieten haben? Eine Killernacktschnecke! Eine Killernacktschnecke! Die Facebookseiten sind voll davon. Hobbygärtner aller dänischen Inseln und Halbinseln vereinigt euch ... im Kampf!“ Einen Tisch weiter kocht die Hobbygärtnerin nun schier über vor Zorn. „Es handelt sich dabei“, will ich dem Redenden zuzischen, „um einen asiatischen Import.“

Ich merke, dass ich überhaupt keine Menschen mag, nicht in Gruppen, nicht, wenn ihnen Medienkanäle zur Verfügung stehen. Ich mag sie nicht, wenn ich ihre Sprache nicht verstehe, aber ich mag sie ebenfalls nicht mehr, wenn ich es doch tue! Ich mag sie nur, in kleinen Gruppen und wenn sie meine Hilfe brauchen. Das ist, finde ich, eine wichtige Erkenntnis.