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Strafbares Gedenken

Ein 76-jähriger steht wegen einer Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht vor Gericht. Gewerkschaftsbund sieht in dem Prozess einen Skandal

„Das hat in der Vergangenheit nie zu Sanktionen geführt. Warum also jetzt?“

AUS BOCHUM JÖRN-JAKOB SURKEMPER

Dass eine Kranzniederlegung zum Gedenken an die jüdischen Opfer der Reichspogromnacht solch ein Nachspiel haben würde, hatte sich Johannes Bienert aus Wattenscheid nicht träumen lassen. Heute steht der 76-jährige Antifaschist vorm Bochumer Amtsgericht. Er habe gegen das Versammlungsrecht verstoßen, wirft ihm die Bochumer Staatsanwaltschaft vor.

Wie seit 15 Jahren hatte Bienert, der die Reichspogromnacht als Zehnjähriger miterlebt hat, auch am 9. November des letzten Jahres eine Gedenkveranstaltung im Stadtteil Wattenscheid organisiert – aber nicht ordnungsgemäß angemeldet. Er hatte an diesem Tag fünf Bürger, darunter einen jüdischen Kantor und einen Studienrat eines Bochumer Gymnasiums, zu dem Platz der ehemaligen Synagoge geführt. Dort wurden drei kurze Ansprachen gehalten, Kränze niedergelegt und Transparente mit Aufschriften wie „9. November 1938 – damit die Nacht nicht wiederkehre“ aufgehängt.

Derartige Veranstaltungen habe er auch in der Vergangenheit nur angemeldet, wenn besondere Gäste wie die KZ-Überlebende Orna Birnbach und vielleicht mehrere hundert Teilnehmer anwesend waren. „Das hat in der Vergangenheit nie zu Sanktionen geführt. Warum also jetzt?“, fragt sich Bienert.

Dass einer, der sich Zeit seines Lebens gegen Faschismus engagiert hat, vor Gericht steht, empfinden viele als Skandal. Neben dem Bochumer Friedensplenum kritisierte auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Staatsanwaltschaft vor einigen Tagen massiv. Bienert habe sich besonders um die Aufklärung der Jugend in den Schulen verdient gemacht, heißt es in einem offenen Brief des DGB-Kreisverbandes an den leitenden Oberstaatsanwalt Bernd Schulte: „Wie will ein Lehrer seinen Schülerinnen und Schülern dieses dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte vermitteln, wenn jemand, der an einem solchen Gedenktag als Geste gegen das Vergessen, als Zeichen der Trauer einen Kranz niederlegt und dann für sein Tun bestraft wird?“, heißt es in dem Brief weiter. Die Staatsanwaltschaft vertausche hier Wesentliches und Unwesentliches, indem sie mit einer Formalie das überaus wichtige Engagement Bienerts kriminalisiere.

Ursprünglich war der Prozess schon für den 7. Juli anberaumt gewesen. Der zuständige Richter am Amtsgericht hatte den Fall jedoch an die Staatsanwaltschaft zur erneuten Prüfung zurückgegeben. Bereits damals hatte das Bochumer Friedensplenum den Prozess in einem offenen Brief als „Tiefpunkt der Bochumer Rechtskultur“ bezeichnet und die Einstellung des Verfahrens gefordert: „Eine Staatsanwaltschaft, die dafür verantwortlich ist, hat aus der Geschichte nichts gelernt“, heißt es darin wörtlich.

Die Hoffnung, dass nach dem öffentlichen Protest das Verfahren wegen geringer Schuld eingestellt würde, wurde jedoch von der Staatsanwaltschaft enttäuscht. „Die Voraussetzung dafür wäre die Geständigkeit des Angeklagten gewesen, da dieser aber darauf bestand, unschuldig zu sein, war diese Voraussetzung nicht erfüllt“, sagt Volker Talarowski von der Staatsanwaltschaft Bochum. Nun müsse die Schuld vor dem Gericht geprüft werden.

Bienerts Anwalt Hans-Jürgen Müller hofft, dass es heute zu einem Freispruch kommen wird. Dies werde aber wohl weniger von formal-juristischen Argumenten abhängen als von der Bereitschaft aller Beteiligter, den Sachverhalt in seiner ganzen Dimension zu berücksichtigen, so Müller.

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