: Haar und Hirn
Ölbilder sind langlebiger als Ölvorräte, Wüsten können aus Beton sein: Die Ausstellung „Sprachen der Wüste – Zeitgenössische arabische Kunst aus den Golfstaaten“ im Kunstmuseum Bonn
VON URSULA WÖLL
Eine große Freitreppe im Foyer des Kunstmuseums führt links zu Baselitz, Richter, Kiefer, Polke und Co. und rechts zu 21 arabischen Künstlern aus den Golfstaaten. Ihre Gemälde, Fotoserien, Videoinstallationen und Skulpturen buchstäblich auf gleicher Augenhöhe mit den Arrivierten des westlichen Kunstbetriebs zu präsentieren, war der Kuratorin der Ausstellung „Sprachen der Wüste“, Karin Adrian von Roques, ein wichtiges Ziel: „Wir sehen Ausdruck auf globalitätstauglichem Niveau“, betont sie im Katalog.
Die Exponate widerlegen in der Tat das Vorurteil, dass die arabischen Länder auf der Stelle treten. Ohne ihre Wurzeln zu verleugnen, findet auch im Orient eine Moderne statt. Nur wird die neue Kunstszene in den Golfstaaten bei uns noch kaum zur Kenntnis genommen oder ins ethnische Getto der Völkerkundemuseen verwiesen.
Seit zehn Jahren entstehen vor allem in den Vereinigten Arabischen Emiraten Museen für zeitgenössische Kunst, entworfen von internationalen Stararchitekten. Es finden Biennalen und Austauschprogramme statt, die Unis erhalten Kunstfakultäten. Ölbilder sind langlebiger als Ölvorräte, und sicher soll damit auch der Tourismus gefördert werden, das ist in Berlin oder Frankfurt nicht anders.
In Bonn vertreten sind Künstlerinnen und Künstler aus den Emiraten Shardjah und Dubai, die Teil der Vereinigten Arabischen Emirate sind, sowie Bahrain, Katar, Kuwait, Oman und Saudi-Arabien. Ausnahmslos alle leben und arbeiten in ihrer Heimat und haben dort auch studiert, bis auf einige wenige, die in England oder Amerika waren.
Auch fünf Künstlerinnen sind unter ihnen. Und noch mehr erstaunt, dass sich ausgerechnet die in Mekka geborene und in Djidda lebende und arbeitende Shadia Alem auf dem Foto im Katalog ohne Kopftuch zeigt. Ihre Installation „Negatives: No More“ thematisiert den Prozess der weiblichen Selbstfindung. Auf dem beleuchteten Vorhang aus hunderten von Negativen erscheint erst eine Schattenfigur, die als projiziertes Bild zu einem undeutlichen Positiv sich wandelt und schließlich als Großfoto zwei strahlende Frauen mit prächtigen Haarmähnen zeigt. Diese symbolische Aufladung der Haare greift auch die 1972 geborene Weidan Almannai aus Bahrain auf. Ihre fotografierten „Selbstporträts“ zeigen nur ihre Haare, und zwar in überbordender Fülle und Sinnlichkeit. Dazu schreibt sie: „Das Haar ist, wo das Hirn ist, wo Denken ist.“
Die traditionelle arabische Kunst konzentrierte sich auf das gesprochene und geschriebene Wort, nicht nur wegen des in der neuen Kunstszene umstrittenen Bilderverbots im Koran, sondern weil die Beduinen Erzählkunst und Kalligrafie problemlos transportieren konnten. Etliche Künstler knüpfen an der klassischen Kalligrafie an, generell erscheinen die männlichen Themen dem westlichen Blick moderater. Ali Hassan aus Katar kapriziert sich auf nur einen der 28 Buchstaben des arabischen Alphabets und malt ihn in immer neuen, großformatigen Ornament-Variationen, wobei er offenbar auf die Frottagetechnik zurückgreift.
Khaled Al Saai aus Sharjah hat die zwölf Meter lange Wand eines Ausstellungssaales ganz in den warmen Farben des Sandes und der Dattelpalme bemalt und Schriftzeichen hineingebettet. Ein vergängliches und leider unübersetztes Werk, so dass unklar bleibt, ob die Komposition Koranverse oder weltliche Poesie zeigt. Der in der Kunst plötzlich mögliche Transfer dieser Kalligrafie auf weltliche Texte löste zunächst Kontroversen aus, die sich im Verlauf der rasanten Veränderungen wohl beruhigt haben.
Dem Klischee von Ruhe und Klarheit entspricht die abstrakte, fast monochrome Gemäldeserie „Sprache der Wüste“. Ihr Schöpfer Yusuf Ahmed stellt den Gegensatz zu europäischen Landschaften heraus: „Es ist der Geist dieser Wüsten-Natur, den du fühlst, und den du allein über die Abstraktion veranschaulichen kannst.“ Doch die Sandwüsten schrumpfen am Golf, da man den Betonwüsten beim Wachsen zusehen kann. Diesen Eindruck will Mohammed Kazem aus Dubai mit seiner Fotoserie vermitteln, die zwischen 2003 und 2005 entstand. Die Sicht aus dem immer gleichen Fenster zeigt eine jedes Mal gewachsene Wand aus Hochhäusern und Baukränen, die den Blick auf den Himmel zuletzt verstellt.
Noch ist der Blick auf ihr soziales oder natürliches Umfeld bei allen Künstlern unverkennbar. Erstaunlich unbefangen navigieren sie in den Turbulenzen der gesellschaftlichen Umbrüche und suchen Brücken zwischen Alt und Neu. Verdienstvoll der Versuch der Bonner Ausstellung, ihren Werken im Konzert des internationalen Kunstbetriebs Gehör zu verschaffen.
„Sprachen der Wüste – Zeitgenössische arabische Kunst aus den Golfstaaten“: Kunstmuseum Bonn, bis 20. November, Katalog 28 €