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Archiv-Artikel

Der Schattenmann im Rampenlicht

Bernd Riexinger – Chef der Linken. Darüber waren alle verblüfft, weil ihn außerhalb von Stuttgart kaum jemand gekannt hat. Seit einem halben Jahr führt er die Partei, und das offenbar nicht schlecht. Er scheint so manchen Egomanen beruhigt zu haben

von Josef-Otto Freudenreich

Er sei Lafontaines „Schattenmann“. Das war noch so ziemlich das Netteste, was im Juni 2012 über Bernd Riexinger (57) geschrieben wurde. Heftiger waren schon die „Marionette“, die „Schießbudenfigur“ und der „lupenreine Gewerkschaftsfunktionär“. Das hatte noch mehr Schwung, verwies letztlich aber nur auf ein Problem, das Journalisten bisweilen mit ihrem Job haben: Keiner der Meinungsstarken kannte das Objekt ihrer Beschreibung, nur die Richtung ihres Urteils.

Google hilft dann auch nicht viel weiter, die Archive geben wenig her, und so muss aus den dürren Daten des Lebenslaufs gefischt werden, was passt. Mit 18 Jahren schon im DGB-Kreisvorstand Böblingen, freigestellter Betriebsrat bei der Bausparkasse Leonberg, später Hauptamtlicher bei der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), danach Ver.di-Geschäftsführer in Stuttgart.

Das läuft pfeilgerade auf den Gewerkschaftsdogmatiker hinaus.

Auf nach Berlin – ohne Oskar im Gepäck

2004 bei der linken Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG), die sich gegen die Schröder-SPD gründete, danach Sprecher der baden-württembergischen Linken, die tapfer, aber erfolglos an der Fünfprozenthürde schraubte.

Das kann nur ein Parteisoldat sein, der jetzt General spielen will. Von Oskars Gnaden.

Darüber hat Riexinger mächtig gestaunt. Mit Lafontaine habe er dreimal unter vier Augen gesprochen, erzählt er. Warum auch mehr? Er war der Provinzgewerkschafter, ein erfolgreicher zwar, aber Lafontaine war eben erste Liga. Richtig ist, dass er des Saarländers Kandidat war. Aber könnte es nicht sein, dass er einfach Lust hatte auf den Sprung von Stuttgart nach Berlin? Welt verbessern am wichtigeren Ort? Ohne Oskar im Gepäck, der als Strippenzieher ohnehin überschätzt sei und im Übrigen „nichts mehr werden“ wolle, wie er sagt. Lust aufs Haifischbecken, in dem sich die „Reformer“ um Dietmar Bartsch, die sozialistische Linke um Sahra Wagenknecht und die antikapitalistische Linke belauern. Sollte die Niedersachsenwahl schiefgehen, und dafür sprechen zumindest die Prognosen (drei Prozent), dann werden sie wieder ihre Kreise ziehen.

Aber sie werden ihn nicht unter Wasser drücken. Gewählt ist er für zwei Jahre, danach könnte er zu Ver.di zurück, sogar wieder mehr Geld verdienen und sich von den Vorsitzenden Frank Bsirske (Grün/Bund) und Leni Breymeier (SPD/Land) wieder willkommen heißen lassen. Beide haben ihn ungern ziehen lassen. Die 5.650 Euro brutto, die die Linke ihrem Vorsitzenden monatlich bezahlt, liegen unter Ver.di-Tarif. Das Geld kann’s also nicht gewesen sein. Der Audi A 6, der ihm samt Chauffeur zur Verfügung steht, auch nicht. Das ist ihm eher peinlich. Er kann nicht mal hinten sitzen, weil ihm dort schlecht wird. Und die Besuche mit seiner Medienberaterin bei Peek & Cloppenburg, die ihm zwei Anzüge für 1.100 Euro einbringen, bucht er unter Berlinopfer ab. Immerhin, jetzt weiß der Träger speckiger Lederjacken, dass gelbe und orangefarbene Hemden tabu sind. Mit so etwas sitzt man nicht hinter Angela Merkel, beim Länderspiel gegen Schweden, wofür sogar der Chef der Linken eine Karte vom Deutschen Fußballbund kriegt.

Das ist die eine „Parallelwelt“, in die er sich freiwillig gestürzt hat.

Die andere ist im Karl-Liebknecht-Haus, in der Berliner Parteizentrale. Hier hat er zuerst gelernt, wie man sich bei Lawinenabgang zu verhalten hat. „Selten heißt gelten“, hat ihn der Pressechef gelehrt, und seitdem wählt der Parteichef die Interviews aus. In den ersten Wochen habe er nicht gewusst, wo ihm der Kopf stehe, warum er sich das angetan habe, erzählt Riexinger, aber eines habe er begriffen: Wenn das so weitergehe mit der öffentlichen Debatte in der Linken und um die Linke, „dann sind wir tot“. Will sagen: Das Seltene hat er nicht nur für sich gelernt, sondern auch im Hinblick auf die Herren Lafontaine, Gysi, Bartsch und andere. Weniger quatschen – „und das haben sie begriffen“. Seitdem ist mehr Ruhe im roten Karton.

Die Emanzipation von den Alten, das ist das Ziel. Der Sozifresser Lafontaine wird mit Signalen an die SPD gekontert, dass es vielleicht doch noch etwas werden könnte mit Rot-Rot. Der Pfau Gysi wird eingebremst, wenn gemeldet wird, er wolle alleiniger Spitzenkandidat für die Bundestagswahl werden. Die Zeit der „einsamen Häuptlinge“ sei vorbei, befindet Riexinger knapp. Zuständig ist das Team.

Riexingers Wurzeln liegen im Proletariat

Dem 57-Jährigen kommt dabei zugute, dass er kein Egomane ist, kein Hardliner wie sein Vorgänger Klaus Ernst, den er in den 80er-Jahren erlebt hat als gefürchteten Mann des Stuttgarter IG-Metall-Apparats. Der ruhige Schwabe kann moderieren, integrieren und ausgleichen. Wer ihn im Gespräch mit Frauen von Schlecker oder Breuninger erlebt hat, wie er stundenlang zuhören und beraten kann, der weiß, dass er kein Dogmatiker ist. Es sei denn, dass es ein Dogma ist, arm oder reich zu sein und nichts dagegen tun zu können. Er sagt den Frauen nur, wie sie sich wehren können, und dass sie sich auf ihn verlassen können. Das ist keine Sache des Egos, sondern der Überzeugung, die ihn treibt. Man nennt es auch soziale Gerechtigkeit. In der Linken ist er dafür ein glaubwürdiger Vertreter, also ein Streiter für die Sache, nicht für die Person. Und das scheint angekommen zu sein. Zumindest im Sinne einer Beruhigung der Eitelkeiten.

Der Betriebsseelsorger a. D. Paul Schobel kennt Riexinger seit vierzig Jahren, weiß um seine Wurzeln im Proletariat. Der Vater war Schreiner, dann Heizungsmonteur, die Mutter Weberin, der Sohn im Tor beim TSV Eltingen. Ein „Buale“ mit langen Haaren und im „Gammellook“ sei er gewesen, berichtet der Pfarrer. Damals in den 70er-Jahren haben sie gegen Daimler gestritten, aber auch gegen die Komanager vom Betriebsrat, die IG Metall und die angeschlossene SPD, der er nie beigetreten ist. Der Junge habe immer ein „klares Bild von abhängiger Arbeit“ gehabt, von oben und unten, erinnert sich Schobel. Und eine Vision von einer gerechten Gesellschaft. Dafür sei er eine „panzerbrechende Waffe“ gewesen.

Medial vermittelt, wird daraus heute ein „altlinkes Weltbild“. Der Ewiggestrige rennt gegen den Kapitalismus an, gegen den Staat, und das mit den antiquierten Mitteln des Klassenkampfs. Am liebsten mit Dauerstreiks. Dass der gelernte Bankkaufmann auch im sozialen Protest zu Hause ist, bei Stuttgart 21, Attac und der Occupy-Bewegung, wird gerne übersehen. Riexinger neben dem Schauspieler Walter Sittler, der S-21-Ikone, weggetragen bei der Blockade des Nordflügels am Hauptbahnhof – über diesen zivilen Ungehorsam hätte ein Funktionär wie Klaus Ernst nur gelächelt. Flugs wurde daraus eine neue Figur geschnitzt: der „städtisch geprägte Demolinke“. Einziges, erstaunliches Gegenbeispiel, die ortskundige Stuttgarter Zeitung, deren Gewerkschaftsexperte Riexinger als „sehr umgänglichen Menschen“ zeichnet, „ohne die Attitude eines selbstgerechten Besserwissers“.

Eine seltene Eigenschaft im selbstgefälligen Betrieb der Politik. Und so sieht er auch seinen Job bei der Linken. Er will von ihr „politische Toleranz“ und einen „Linkspluralismus“, in dem keine Strömung die andere beherrscht. Klare Kante ja: Mindestrente, Mindestlohn, Millionärssteuer, gegen Steuerflucht und Kriegseinsätze. Das ist Pflicht. Aber keine Selbstzerfleischung, kein Ost-West-Streit, schon gar nicht mit seiner sächsischen Mitvorsitzenden Katja Kipping, die er zu Hause aufsucht, damit sie ihr einjähriges Kind betreuen kann. Die er neidlos in die Talkshows ziehen lässt, weil sie dort „begehrter ist“. Die 34-jährige Dresdnerin ist rothaarig, flink mit der Zunge und postmodern. Auch die Spielregeln des Fernsehens hat er inzwischen begriffen.

Parlamentarier-Pension ist in seinem Plan nicht vorgesehen

In der Partei wird diese Zurückhaltung geschätzt. Sie hat gelernt, dass hier keiner angereist ist, der nach oben schießen will. Eine Kandidatur für den Bundestag, das hätte doch noch draufgesetzt werden müssen. Ulrich Maurer, schwäbischer Exgenosse und heutiges Vorstandsmitglied der Linken, wollte ihn fast dazu prügeln. Aber Riexinger lehnte von Anfang an ab, in seinem Plan ist die parlamentarische Pension nicht vorgesehen. Auch deshalb wird er Niedersachsen überstehen, wie immer es ausgeht.

Der Bodenverhaftete weiß, dass er kein Politstar ist und wohl auch keiner werden wird. Er reißt die Leute nicht von den Stühlen wie einst Lafontaine, er ist kein charmanter Rhetoriker wie Gysi, kein attraktiver Kritiker des Finanzkapitals wie Wagenknecht. Er ist und bleibt ein linker Gewerkschafter, ein Mann der Basis, der bisweilen linkisch wirkt und die deutsche Sprache („Marx ist Muss“) quält, wenn er meint, seine Zuhörer aufrütteln zu müssen. Das ist dann in der Tat so, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt – als habe er einen Schalter, den er glaubt umlegen zu müssen, um sich in einen „polternden Kampfrhetoriker zu verwandeln“.

Das ist er nicht. Mit sich im Reinen ist der Mensch, wenn er 30 Freunde zu Hause in der Stuttgarter Altenburgstraße bekocht oder über seine Lebensgefährtin Barbara (54) staunt, die ihm bei seinen Kurzbesuchen die Hemden bügelt. Für eine Sozialpädagogin, die gescheiterte Schülerinnen betreut, ein hartes Stück Arbeit. Vorher hat er das selber gemacht. Aber vorher war fast alles anders.