: Die Rechten werden die Sieger sein
NAHOST Israel wählt ein neues Parlament. Frieden mit Palästina? Zwei Staaten? Daran glaubt kaum noch jemand
■ Der Termin: Am kommenden Dienstag wählt Israel ein neues Parlament, die 19. Knesset. Es ist die erste Wahl seit rund 20 Jahren, der kein Regierungssturz vorausging. Der amtierende Premierminister Benjamin Netanjahu selbst hatte die Wahl vorgezogen, weil er keine Mehrheit für den nächsten Haushalt zusammenbekam.
■ Die Lage: Netanjahus Rechtsbündnis aus Likud und Israel Beitenu dürfte größte Fraktion werden. Sie steht für einen harten Kurs gegenüber dem Iran und den Palästinensern. Die stärkste Konkurrenz verkörpert Netanjahus früherer Büroleiter Naftali Bennett mit Das jüdische Haus. Er sieht keinen Platz für einen Staat Palästina.
AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL
Mit Israelis in diesen Tagen über die Parlamentswahl zu sprechen, führt mitunter weit weg von dem, was das Land – zumindest von außen betrachtet – am stärksten belastet. Anstatt zu überlegen, wer am ehesten eine Lösung für den Konflikt mit den Palästinensern verspricht, echauffieren sie sich über Schiffe, die seit Tagen vor den Häfen liegen und nicht gelöscht werden können, weil die Hafenarbeiter streiken. Dabei verdienen die mit umgerechnet 6.000 bis 8.000 Euro schon viel mehr als der Durchschnitt und haben in den vergangenen Jahren Lohnerhöhungen bis zu 24 Prozent erreicht.
Amir zum Beispiel, mein Nachbar in Messilat Zion, auf halbem Weg zwischen Jerusalem und Tel Aviv. Er ist 35, alleinstehend und verdient sein Geld mit dem An- und Verkauf von Aktien. Elf Jahre sorgte er vorher im Inlandsgeheimdienst Schin Beth für die Sicherheit der Politiker. Amir regen diese Schiffe auf – er wird genau deshalb für die Rechtsaußen-Partei Habajit Hajehudi, Das jüdische Haus, mit Naftali Bennett an der Spitze stimmen. Weil der gegen Tycoone und mächtige Gewerkschaften vorgehen will. Dass Bennett sagt, für einen zweiten Staat zwischen Mittelmeer und Jordan sei kein Platz, er also die Zweistaatenlösung ablehnt, ist für Amir Nebensache.
Da ist sie wieder, die alte Idee von einem Groß-Israel. Kein palästinensischer Staat, stattdessen will Bennett 60 Prozent des Westjordanlands annektieren, den Palästinensern blieben dann noch einige selbstverwaltete Städte und Orte. Bennett wird laut Umfragen 15 Mandate erreichen und drittstärkste Kraft in der Knesset sein. Die Siedler sind für ihn, die Nationalreligiösen, in deren Wiege er heranwuchs, und weltliche Juden. Dabei treten laut Studien rund ein Drittel seiner Wähler für die Zweistaatenlösung mit den Palästinensern ein – wollen also genau das, was Bennett verhindern will. So wie Amir, der in einem „linken Elternhaus“ aufwuchs und eigentlich immer die Arbeitspartei wählte. „Man kann einen Vertrag mit den Palästinensern nicht erzwingen“, sagt er. „Der Nahostkonflikt ist nicht lösbar.“
Immer weniger Israelis glauben an einen Frieden mit den Palästinensern – mit den immergleichen Argumenten: Die Siedlungen seien nicht das Problem, die Palästinenser hätten doch verhandeln können, als Netanjahu den Siedlungsbau für fast ein Jahr auf Eis legte. Fatah und Hamas seien unter sich selbst zerstritten, mit wem also solle man überhaupt Frieden machen? Und jedes Mal, wenn „wir“, Israel, Zugeständnisse machen, kriegen „wir“ Terror zurück. Also tut man so, als gäbe es das Palästinenserproblem nicht und wendet sich innenpolitischen Fragen zu, den Hafenarbeitern. Als sei Israel ein ganz normales Land, was natürlich nicht stimmt. Im Gegenteil: Je länger man die Teilung des alten Palästina in zwei Staaten verzögert, desto schwieriger wird die Lösung des Problems.
Und trotzdem: In der Knesset wird der rechte Block mit dem Bündnis von Premierminister Benjamin Netanjahus Likud und der rechtsnationalen Partei Israel Beitenu, mit Bennetts Habajit Hajehudi, mit der orientalisch-orthodoxen Schass und den Ultraorthodoxen die große Mehrheit stellen. Keine der Parteien verfolgt eine ernsthafte Friedenspolitik. Ihr Erfolg beruht auf dem Misserfolg der bisherigen Verhandlungen und auf soziodemografischen Verschiebungen.
Beth Schemesch, die meinem Wohnort nächstgelegene Stadt, war bis vor 15 Jahren ein Ort, an dem Fromme und Weltliche friedlich koexistierten. Im Zentrum verkauften russische Einwanderer „weißes Fleisch“, also Schwein, und niemand sagte etwas gegen Frauen, die kurze Röcke trugen. Heute riskieren „unkeusch“ gekleidete Frauen, verprügelt zu werden, den russischen Metzger gibt es nicht mehr. Je breiter die fromme Bevölkerung, desto schlechter für die weltlich-liberalen Parteien, denn unter den Religiösen herrscht Disziplin. Sie wählen, was der Rabbiner sagt, und vor allem wählen sie überhaupt, ihre Wahlbeteiligung liegt bei rund 85 Prozent. Wie unter den Siedlern, deren Zahl sich seit Beginn des Friedensprozesses ungefähr verdreifacht hat.
Im liberalen Tel Aviv hingegen lag die Wahlbeteiligung vor vier Jahren bei unter 60 Prozent. „Netanjahu wäre glücklich, wenn Ihr nicht wählen geht“, steht auf Postern in der Stadt, unterschrieben vom „Hauptquartier für den Regierungswechsel“. Die Liberalen, die Linken und die, die trotz aller Rückschläge auf zwei Staaten für zwei Völker setzen, sind über die Politik in ihrem Land frustriert. Seit den Verhandlungen in Camp David, im Sommer 2000, gab es in Jerusalem keine Regierung mehr, die den Friedensprozess ernsthaft vorangetrieben hätte.
Eine Ewigkeit scheint es her zu sein, als Jitzhak Rabin gewählt wurde, der das Gesetz abschaffte, das Kontakte zur PLO unter Strafe stellte, der Verhandlungen führte und PLO-Chef Jassir Arafat die Hand reichte. Eine Ewigkeit entfernt die Euphorie, als der Sozialdemokrat Ehud Barak im Frühjahr 1999 Netanjahu ablöste und Hoffnung auf neue Verhandlungen brachte. Zigtausende gingen in der Wahlnacht auf die Straße, um ihn zu bestärken. Aber er enttäuschte. Er holte die Religiösen ins Kabinett und erteilte den Arabern, mit deren Stimmen er an die Macht gewählt wurde, eine Absage. Kein Frieden mit Syrien, kein Frieden mit den Palästinensern. Die Palästinenser, die nicht vom Widerstand abließen, waren für Israel so wenig ein Partner wie umgekehrt Israel, das nicht vom Siedlungsbau abließ, Partner für die Palästinenser war.
In Israels Friedenslager verbreitet sich der Phlegmatismus wie eine ansteckende Krankheit. Nur noch eine kleine Minderheit kämpft für ein Ende der Besatzung. Der Rest verharrt bangend auf dem Pulverfass und wartet auf die dritte Intifada, auf Barack Obama oder einen israelischen Nelson Mandela.
Außer dem linken Bündnis Meretz, das auf sechs Mandate hofft, verspricht nur Tzipi Livni, den Friedensprozess voranzutreiben. Aber auch die frühere Außenministerin, die jahrelang ergebnislos mit den Palästinensern verhandelte, hat einmal zu oft enttäuscht. Bei den letzten Wahlen siegte sie mit ihrer Partei Kadima, scheiterte an den Koalitionsverhandlungen und überließ Netanjahu das Feld.
Mehr ist da nicht. Selbst die Arbeitspartei hat sich völlig abgewandt. Jitzhak Rabin war der erste Regierungschef, der wirklich an eine Lösung mit den Palästinensern glaubte. Und vielleicht auch der letzte. Schelly Jachimowitsch, die heutige Vorsitzende von Rabins Partei, nimmt das Wort Frieden im Wahlkampf gar nicht erst in den Mund. Sie sei schlimmer als ihr Vorgänger Ehud Barak, meint der Schriftsteller Amos Oz. „Während Barak erklärte, es gebe keine Lösung, sagt Jachimowitsch: ‚Es gibt kein Problem.‘ “