Islamisten mit klaren Plänen

ALGERIEN Die Geiselnehmer von In Amenas waren bestens vorbereitet. Sie wollten westliche Arbeiter nach Libyen verschleppen. Weitere Entführungen angedroht. Experten fürchten um die soziale Lage in der Wüstenregion

„Die Länder der Region brauchen Aufbauhilfe. Keinen Krieg“

AHMED SHEBANI VON DER DEMOKRATISCHEN PARTEI IN LIBYEN

VON MIRCO KEILBERTH

TRIPOLI taz | Die genauen Umstände der versuchten Geiselbefreiung auf dem BP Gasfeld In Amenas an der algerisch-libyschen Grenze waren auch am Freitag ungeklärt. Nur so viel scheint sicher: Mindestens 30 Geiseln und 11 Geiselnehmer starben bei dem Beschuss der algerischen Armeehubschrauber.

Erste Augenzeugenberichte lassen darauf schließen, dass die Islamisten im Gegensatz zu dem Militär ihr Vorgehen bestens geplant haben und regional gut vernetzt sind. Sie drohen zudem mit weiteren Angriffen auf westliche Ziele in Nordafrika.

Die Entführer um Anführer Mochtar Belmochtar waren vor ihrem Angriff am Mittwoch aus dem nur 100 Kilometer entfernten Libyen eingesickert und wollten mit ihren Geiseln dorthin wieder zurückkehren. Der Süden Libyens gilt seit der Revolution 2011 als gesetzloses Rückzugsgebiet verschiedener Milizen.

Als erste Geiseln auf dem BP-Gelände am Donnerstag in die Jeeps der Entführer steigen mussten, griffen die algerischen Kommandos ohne Rücksicht auf Verluste an. „Die Geschosse zerstörten einige Fahrzeuge. Mein Bruder konnte wie durch ein Wunder entkommen“, berichtete der Bruder eines irischen Ingenieurs dem Nachrichtensender al-Dschasira.

Ein französischer BP-Angestellter sagte der Zeitung Le Monde, dass Belmochtars Männer möglichst viele westliche Ausländer in ihre Gewalt bringen wollten. „Sie hatten Pläne dabei und haben von Beginn mit dem Tod der Geiseln gedroht.“

Ein dem Chaos entkommener Arbeiter lieferte einen der wenigen algerischen Augenzeugenberichte: „Die Vermummten versicherten uns, dass sie nur Christen, die sie als Ungläubige bezeichneten, umbringen werden“, sagte der Mann, der Presseagentur Reuters am Telefon.

Quellen aus dem algerischen Sicherheitsapparat zufolge sind mindestens acht Algerier unter den Toten. Laut weiteren Augenzeugen aus In Anemas stammen die Geiselnehmer aus Ägypten, Tunesien und Algerien und hielten sich in Libyen auf. Obwohl die Gruppe ihren Überfall mit dem erst vor einer Woche gestarteten französischen Militäreinsatz in Mali begründet, scheint sie sich bereits monatelang vorbereitet zu haben. „Sie kannten die Erdgasanlage im Detail und konnten wohl auf Insiderwissen zurückgreifen“, sagt Faisal Swehli von einer libyschen Sicherheitsfirma. Es sei sicher kein Zufall, dass sie zum Schichtwechsel zugeschlagen haben, als doppelt so viel Arbeiter vor Ort waren.

Es gibt in Libyen und Algerien viele mitten in der Wüste liegende Anlagen wie In Amenas, die kaum zu schützen sind. Sollten Ölfirmen ihre Arbeit wegen weiterer Drohungen einstellen, hätte das schwerwiegende Konsequenzen für die Wirtschaft und das soziale Gefüge der Länder.

Besonders in Libyen könnte die fragile nachrevolutionäre Balance zwischen den moderaten und religiösen Kräften kippen. Aus dem Osten und Süden Libyens haben sich im letzten Jahr viele islamistische Kämpfer auf den Weg nach Mali gemacht. Sie würden nach ihrer Vertreibung aus Mali wieder dorthin zurückkehren, denn in der libyschen Sahara gibt es wie in Mali so gut wie keine staatliche Kontrolle.

Libysche Sicherheitsexperten beobachten, dass die Islamisten versuchen, die schwierige soziale Lage in Nordafrika für ihre Zwecke zu nutzen und bewusst Stimmung gegen westliche Konzerne zu machen. „Extremismus entsteht durch Marginalisierung“, sagt Ahmed Shebani von der Demokratischen Partei in Tripolis. „Die Länder der Sahara-Region brauchen schnellstens Hilfe im Aufbau ihrer Institutionen und Jobs, um Extremisten gesellschaftlich zu isolieren. Keinen Krieg. Ansonsten war die Entführung erst der Anfang.“