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Archiv-Artikel

„Meine Songs sind wie Fotos“

Als Schauspielerin ist sie auf traurige Rollen abonniert. Und auch in der Musik lebt Julia Hummer die Country-Schwermut von Hank Williams und den Blues Robert Johnsons aus. Jetzt hat sie mit ihrer Band Too Many Boys die erste Platte aufgenommen

INTERVIEW ANDREAS MERKEL

Im Bateau Ivre am Heinrichplatz ist es Dienstagmittags bereits so voll, dass man sie erst suchen muss. Julia Hummer, das „It Girl“ des deutschen Film und Jugendjournalismus, sitzt oben hinterm Raumteiler und gibt Interviews zu ihrem neuen Projekt. Sie hat mit ihrer Band Too Many Boys gerade das erste Album veröffentlicht, „Downtown Cocoluccia“ (Strange Ways Records). Nun steht Pressearbeit an, und mit einer Stuttgarter Journalistin ist sie so lebhaft ins Plaudern über Plattensammlungen und Bob Dylan geraten, dass man – obwohl die Zeit drängt! – kaum stören möchte. Man ahnt, dass dieses Interview aber schon dadurch schief gehen könnte, dass man sich – natürlich! – duzen wird, wie sie auch gleich am Beginn des Gesprächs vorschlägt.

Julia ist etwas blass und sieht so unauffällig jung aus, dass man sie auf der Straße wahrscheinlich nicht erkennen würde. Aber wenn sie kurz nachdenklich zur Seite schaut, erkennt man sofort das Gesicht und die Pose, weswegen Regisseure sie casten. Und wenn sie spricht, ist es, als würde sie aufwachen.

Auf die erste Frage nach ihrer „Entdeckung“ durch den Fotografen Daniel Josefssohn, der sie einfach in Hamburg auf der Straße angesprochen haben soll, und ob das nicht superpeinlich gewesen sei, kommt ein kurzes „Absolut nicht!“. Doch dann folgt eine so ausgelassene, anekdotenreiche Erzählung über die damaligen Hamburger Tage als junge Skaterin auf der Suche nach einem Job, den sie dann prompt als Model und Fotoassistentin von Josefssohn bekam, über die erste Rolle in „Absolute Giganten“ usw., dass für den Rest der Fragen noch weniger Zeit bleibt.

taz: Dein Album hat den schönen Titel „Downtown Cocoluccia“. Ist das irgendwas Versautes? Für mich klingt es wie ein Wortspiel aus einem Lou-Reed-Song über Transvestiten, eine Mischung aus „cucciolo“ (ital. Hündchen) und „cocksucker“…

Julia Hummer: (lacht) Du meinst wie „Cocka Hola Company“, dieser Porno-Roman? Nein, „Downtown Cocoluccia“ soll einfach der Ort heißen, an dem die Figuren aus meinen Songs leben. Weil ich mir gedacht habe, dass es schön wäre, wenn die ein Zuhause hätten. Auf dem Album-Cover ist dazu eine Collage mit dem Stadtplan von Berlin zu sehen, aber es ist ein fiktiver Ort. Der Name ist mir mal irgendwann spontan bei einer Session eingefallen, als ich betrunken war.

Als Schauspielerin bist du ja eine Art „method actor“, scheinst auch darunter zu leiden, dass du dauernd für Rollen mit dem traurigen Blick gecastet wirst – und dann aber auch zum Spielen tatsächlich traurig sein musst. Ist es für dich bei der Musik ähnlich, bist du auch ein „method singer/songwriter“?

Ich weiß nicht, was ein „method singer/songwriter“ ist. Eigentlich habe ich mich nie für Musik interessiert, bis ich selbst angefangen habe, Songs zu schreiben, das war vor etwa viereinhalb Jahren. Bob Dylan hat mir die Tür aufgestoßen zu Songwritern wie Hank Williams oder Robert Johnson, für die American Folk Anthology und für Reverend Gary Davis. Das sind meine Wurzeln. Für mich sind meine Songs wie Fotos: Wenn ich sie wieder spiele, kann ich mich an den Moment erinnern, als ich sie geschrieben habe.

Mit der Band spielst du Folk-Pop, der sich ganz ungebrochen zu seinen englischen und amerikanischen Ursprüngen und Einflüssen bekennt. Wärst du gern Amerikanerin, um das noch besser zu können?

Nein, dann hätte ich ja diesen Präsidenten! Ich höre aber schon auch deutschen Pop. Tocotronic und Blumfeld gefallen mir. Aber ich selbst singe eben lieber englisch.

Ist Englisch nicht auch ein Ausweg aus zu viel Tagebuchnähe und Intimität? Ich meine, deine Fans – wenn man etwa Amazon-Kundenkommentare durchliest oder sich mit dem eigenen kleinen Bruder unterhält – sie klingen alle, als wären sie in dich verliebt …

Das würde ich so nicht sagen. Es geht ja in erster Linie um die Musik. Am 22. 12. spiele ich mit Freunden Coversongs im Roten Salon. Meine jeweiligen Partner suchen sich diese Songs aus, da werden sicherlich nicht nur Liebeslieder gecovert.

Wie findest du Angela Merkel?

Dazu sag ich jetzt nichts. Das wäre noch viel zu früh, da sollten wir erst mal abwarten. Aber wenn ich über den Wahlausgang und das ganze Regierungsbildungstheater nachdenke, bin ich schon sehr enttäuscht. Ich hätte die Anarchistische Pogo Partei wählen sollen, „APPD – Ihre Stimme für den Müll“.

Julia Hummer & Too Many Boys spielen Sonntag, 21 Uhr, im Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Straße 130