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Archiv-Artikel

„Stoppt die Rolle rückwärts!“

Steffen Reiche, der frühere Brandenburger Wissenschaftsminister, plädiert vehement dafür, dem Bund größere Kompetenzen für den Bildungsbereich zu geben

Bildung hat Priorität. Hört man. Liest man. Für solche zentralen Zukunftsaufgaben wird ein nationaler oder gar europäischer Rahmen gesetzt.

Niemand käme heute auf die Idee, die Bundesländer müssten eigenes Geld in Umlauf setzen. Das Münzprägerecht deutscher Kleinstaaten ist längst abgeschafft. Wir haben heute eine gemeinsame europäische Währung. Einer regionalen Haushaltsplanung oder Wirtschaftspolitik tut das keinen Abbruch.

Was beim Geld allgemein akzeptiert ist, soll bei der Bildung nicht möglich sein. Würden auf diesem Feld Kompetenzen an den Bund oder gar die EU verlagert, so behaupten viele, könne es keinen Wettbewerb zwischen den Ländern mehr geben. Unfug! Denn in der Wirtschaftspolitik, wo Brüssel und Berlin den Rahmen setzen, gibt es gerade dadurch harten Wettbewerb. Mehr noch: Im Zuge der geplanten Föderalismusreform steht sogar eine Rolle rückwärts bevor. Die Länder haben auf diesem Feld versagt, wie der neueste Pisa-Vergleich mit der darin diagnostizierten extremen Chancenungleichheit in Deutschland zeigt. Dennoch sollen für Schulen und Hochschulen nun allein die Länder zuständig sein.

Gegen dieses Vorhaben spricht die Praxis der meisten Staaten in Europa. Und der erklärte Wille der Bevölkerung. Zwei Drittel der Bundesbürger sprechen sich in Umfragen dafür aus, dem Bund eine bildungspolitische Kompetenz zu übertragen – bis hin zu Rahmenlehrplänen und einem bundesweiten Zentralabitur. Im Osten sind sogar über 80 Prozent der Menschen dafür. Aber der Souverän wird nicht gehört in dieser Frage.

Nicht nur für Schulen, auch für Hochschulen wäre ein solcher Föderalismus fatal. Der Hochschulbau durch den Bund soll komplett wegfallen. Die Länder sollen dafür das Geld erhalten und selbst darüber entscheiden. Niemand kann ernsthaft glauben, dass alle Länder dieses Geld für Hochschulen verwenden. Gerade die ärmeren werden es in Wirtschaftsförderung oder Infrastruktur investieren, wo zusätzliche Fördergelder aus Brüssel winken.

Sollten die Vorschläge der Föderalismuskommission Wirklichkeit werden, dann kann die Bundesbildungsministerin in eine Villa umziehen und von dort aus das Geschehen kommentieren. Wirklich mitreden kann der Bund bei der Entwicklung der wichtigsten Zukunftsressource nicht mehr. Die große Koalition sollte diese Pläne schleunigst stoppen. Bildung ist die Währung der Zukunft.

Der Autor war von 1994 bis 2004 erst Wissenschafts-, dann Bildungsminister in Brandenburg. Jetzt ist er Bundestagsabgeordneter für die SPD