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Archiv-Artikel

Die Clintons aus der Bundesstadt

Familiensache Politik: Die NRW-SPD wird von einer nüchternen Public-Private-Partnership geführt. Bärbel und Jochen Dieckmann sind die Zukunft einer Landespartei im ideologischen Umbruch

VON KLAUS JANSENUND MARTIN TEIGELER

Das Dementi klingt eindeutig. „Definitiv nein“, antwortete Bärbel Dieckmann gestern auf die Frage, ob sie bei der Landtagswahl 2010 als SPD-Spitzenkandidatin antreten werde. Eine Zeitung hatte unter Berufung auf SPD-Führungskreise in NRW berichtet, die Bonner Oberbürgermeisterin solle Herausforderin von CDU-Amtsinhaber Jürgen Rüttgers werden. Die Spekulation setzt den Schlusspunkt unter eine chaotische SPD-Woche, in der Bärbel und ihr Ehemann Jochen Dieckmann in die Bundesliga der SPD-Promis aufrückten.

Müntefering weg, Pils weg, Korn weg: Die NRW-SPD verändert sich in diesen Tagen beinahe mit jeder neuen Gremiensitzung. War der Sauerländer Franz Müntefering noch zu Wochenbeginn der unumstrittene Star der Genossen im größten Bundesland, so haben die Ereignisse nach der Kampfabstimmung um das SPD-Generalsekretariat vieles verändert. Mit „Müntes“ Abgang verändert sich die Partei auch kulturell. An die Stelle des westfälisch-bodenständigen Traditionsgenossen („Ich kann nur kurze Sätze“) treten die Clintons von Bonn, die Politehe aus der Bundesstadt – in der vermutlich weder Pils noch Korn getrunken werden, wie es in der alten Westliches-Westfalen-SPD zum guten Ton gehörte. Jochen Dieckmann – leise, manchmal steif und stets von ziemlich unsozialdemokratischer Höflichkeit – ist der selbst erklärte „Moderator“ einer NRW-SPD, die immer noch die Wunden ihrer Wahlschlappe vom 22. Mai leckt. Fast noch karriereaffiner: Gattin Bärbel. Die Oberbürgermeisterin soll nun stellvertretende SPD-Chefin werden.

Dennoch verhält sich die pragmatische Public-Private-Partnership Dieckmann & Dieckmann zuweilen widersprüchlich – allerdings ohne sich gegenseitig zu schaden. Beispiel: In der SPD-Chaoswoche moderierte Landeschef Dieckmann darüber hinweg, dass eine Mehrheit der NRW-Sozialdemokraten im Bundesvorstand gegen Münteferings Sekretärskandidaten Kajo Wasserhövel votierte. Frau Dieckmann gehörte zu den Andrea-Nahles-Unterstützern. Von Münteferings folgender Demission profitierten beide Ehepartner: Jochen war bei einer exklusiven „Entscheiderrunde“ in Berlin dabei, die den Brandenburger Matthias Platzeck zum neuen SPD-Chef erkor. Bärbel rückte als Krisengewinnlerin in die SPD-Parteispitze auf.

Parteifreunde sehen im Aufstieg der Dieckmanns auch einen Wandel im Politikstil der NRW-SPD. „Jochen Dieckmann ist kein Freund von einsamen Entscheidungen. Er versucht immer, möglichst viele Leute einzubinden“, sagt der Bonner Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber. „In den zurückliegenden Jahren ist in der SPD eher zu wenig als zu viel diskutiert worden, auch über Inhalte“, sagt der junge Hertener Bürgermeister und SPD-Landesvorstand Uli Paetzel. Als SPD-Landeschef müsse und werde Dieckmann „gegensätzliche Positionen“ zusammenbringen

Der Aufstieg der Dieckmanns fällt auch zusammen mit einem Machtverlust der klassischen Parteiflügel in der SPD. Die starre Aufteilung in rechte „Seeheimer“ und „Parlamentarische Linke“ wankt. „Es geht bei der Neuaufstellung der SPD nicht um Landsmannschaften und das alte Links-Rechts-Schema. Das sind für mich Kategorien von gestern“, sagt der Kommunalpolitiker Paetzel. Der Bielefelder Bundestagsabgeordnete Rainer Wend sagt: „Die Leute, die jetzt ans Ruder kommen, sind nicht mit den ideologischen Kämpfen der 70er Jahre sozialisiert worden. Das gibt im Umgang miteinander einen neuen Stil.“

Es sind vor allem die unauffälligen, kompromissbereiten Reformpolitiker, die in der SPD an Einfluss gewinnen. Die Süddeutsche nennt sie in Abgrenzung zu den „Netzwerkern“ um Sigmar Gabriel und den neuen SPD-Generalsekretär Hubertus Heil die „Nürnberger Mitte“, angelehnt an ein Treffen am Rande des Bundesparteitags im Jahr 2001. Aus NRW gehört neben Jochen Dieckmann auch der Europaabgeordnete Martin Schulz dazu – er wird gar als „Spiritus Rector“ der Zentristen-Gruppe bezeichnet.

Fraglich bleibt, ob die SPD-Mitglieder an Rhein und Ruhr der neuen Sachlichkeit an der Parteispitze etwas abgewinnen kann. Im Vergleich zu alten Parteiführern wie Müntefering und Schröder wirkt die neue Riege wie der fleißig-eifrige Abschlussjahrgang einer Verwaltungswirtschaftsschule. „Es kann nicht jeder Jungpolitiker Jeans und Strickpulli tragen“, verteidigt Rainer Wend die Truppe. Aber: „Es bedarf in den kommenden Jahren besonderer Anstrengung, die Basis mitzunehmen.“

Wohin die Karrierewege der neuen NRW-SPD führen, erscheint offen. NRW-Wahlpleite, Neuwahlen im Bund, Schröders Ende, Müntes Sturz – die Landespartei muss sich in den nächsten Jahren berappeln, während in Berlin wohl großkoalitionäre Kürzungspolitik betrieben wird. „Nach dem Verlust der Macht ist es jetzt Aufgabe der NRW-SPD, sich neu aufzustellen“, sagt Vorstandsmitglied Paetzel. Dabei müsse es auch zu einer schonungslosen Analyse der Wahl kommen, „damit es beim nächsten Mal wieder klappt“. Ab 2008 sollte ein klarer Fahrplan Richtung Landtagswahl 2010 kommuniziert werden, fordert Paetzel. Wohl erst 2009 wird ein Spitzenkandidat nominiert. Ein Genosse: „Ob Frau Dieckmann oder Herr Dieckmann oder ein anderer für uns ins Rennen geht, müssen wir dann sehen.“