: „Flächenverbrauch gibt es nicht“
Planer diskutieren steile Thesen zum Thema Wachsende Stadt und Flächenfraß. Die Mehrheit tendiert dazu, die Vorstellung Landschaft aufzuweichen. Sie sei kulturell geprägt und im Wandel begriffen. Schwierige Zeiten für den Naturschutz
von Gernot Knödler
Die starre Gegenüberstellung von Stadt und Landschaft, Kultur und Natur ist nach Ansicht vieler Landschaftsplaner überholt. Das ist bei einer Diskussion der Architektenkammer zum Thema „,Wachsende Stadt‘ – schrumpfende Landschaft?“ deutlich geworden. Die steilste These des Abends im Architektur-Centrum lieferte Professor Jürgen Pietsch von der TU Harburg mit der Behauptung, der Terminus „verbrauchte Flächen“ sei Unsinn: Die Flächen seien ja noch da. Angesichts der heraufziehenden Wissensgesellschaft sei die auf die Industrialisierung reagierende Naturschutzgesetzgebung veraltet.
Pietsch kommentierte einen Vortrag seiner Kollegin Sophie Wolfrum von der TU München, die festgestellt hatte, dass sich unser Blick auf das, was als Landschaft begriffen und als schön empfunden wird, verändert. Unser gegenwärtiges Landschaftsbild sei mit der Neuzeit entstanden und durch die Malerei, gipfelnd in den Arbeiten eines Caspar David Friedrich, eingeübt worden. Eine Beobachtung der Kunstszene zeige: „Diese Betrachtung konstituiert sich heute neu.“ Ein spärlich belebter Strand erheische dabei ebenso Aufmerksamkeit wie die Rasenbrache vor der Trabantenstadt.
Außerdem wachse das potenzielle Landschaftsinventar ständig: Seit langer Zeit schon fügen sich in die konventionelle Vorstellung einer Landschaft nahtlos menschliche Bauten, etwa Burgen oder Dörfer. Heute gilt das auch für den Schornstein einer Tuchfabrik, den Wolfrum auf einem Landschaftsfoto zeigte und der kaum von einem Kirchtum zu unterscheiden ist. Und Abraumhalden, ja sogar ehemalige Hochöfen und Fördertürme prägen akzeptiertermaßen die Landschaft des Ruhrgebiets.
„Wir müssen den Fokus von unbebauten auf bebaute Flächen richten“, forderte Pietsch. Dort gebe es eine reale ökologische Qualität, die bloß kultiviert werden müsse. Allgemein habe die Umweltqualität in den Städten in den vergangenen 20 Jahren „rapide zugenommen“ – es werde bloß nicht darüber geredet. Gäbe es ein Konzept, mit dem sich die positiven Auswirkungen des Strukturwandels erfassen ließen, hätten auf Hamburger Siedlungsgebiet jedes Jahr 225 Hektar Ausgleichsflächen geschaffen werden können: auf dem parkartigen Gelände der alten Krankenhäuser ebenso wie auf dem Universitätscampus – oder brachliegenden Ecken im Hafen, wie dieser Gedanke weiterzuspinnen wäre. Der Umbau der Industrie- zur Wissenschaftsgesellschaft werde „nachhaltige Siedlungs- und Wertschöpfungsstrukturen hervorbringen“. Er biete die Chance, die Stadt als Kulturlandschaft zu entwickeln.
Bei einem derart erweiterten Landschaftsbegriff stelle sich allerdings die Frage, wie bei der Planung ein Eingriff in Natur- und Landschaft künftig zu bewerten wäre, gab der Landschaftsplaner Jan Michael Runge zu bedenken. Wenn er Containerstapel als Landschaftselement in eine Umweltprüfung einbezöge, kriegte er das heute „um die Ohren gehauen“.
Ganz zu Recht, wie sein Kollege Hans-Detlef Schulze fand. „Wenn das Heuckenlock (EU-Naturschutzgebiet, d. R.) durch grün angestrichene Container ersetzt werden kann, dann werden die Planer erleben, dass sie in Zukunft wieder abreißen müssen“, warnte Schulze – ganz so, wie es heute zum Teil mit den Hochhaussiedlungen der 60er Jahre geschehe. Mit Herausforderndem und Spannungsreichem sei die Stadt voll und die Menschen stünden entsprechend unter Dampf. Es müsse also gerade darum gehen, Entspannungsräume zu schaffen und zu pflegen. Nicht umsonst strömten die Menschen in die Naturschutzgebiete. „In dieser Zeit Landschaftsplaner zu sein“, so Schulze, „ist eine Strafe.“