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Archiv-Artikel

Auf die Wahl folgt wieder Streit

Mit einem unüblichen Prozedere und in Rekordzeit hat der Vorstand der Jüdischen Gemeinde seinen neuen Vorsitzenden bestimmt. Ein Ende der Konflikte ist mit der Wahl von Gideon Joffe nicht in Sicht

von PHILIPP GESSLER

Die jüdische Gemeinde in der Hauptstadt hat einen neuen Vorsitzenden – aber die Querelen gehen weiter. Denn die Umstände der – vorsichtig ausgedrückt – überraschend raschen Wahl des 33-jährigen Betriebswirts Gideon Joffe zum Nachfolger des Juristen Albert Meyer stoßen schon jetzt auf Kritik.

Der Vorsitzende des Gemeindeparlaments, Julius Schoeps, kritisierte, die Wahl sei gegen alle parlamentarischen Gepflogenheiten vollzogen worden. Der Potsdamer Historiker bemängelte, dass der fünfköpfige Vorstand, darunter Joffe, bei der Wahl des Gemeindevorsitzenden nur zu viert war – es gab noch keinen Nachfolger für Meyer, der wegen „unerträglicher Streitigkeiten“ zurückgetreten war.

Zudem werden üblicherweise die Mitglieder des Gemeindeparlaments, der Repräsentantenversammlung (RV), zuvor gehört – und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt wie gestern, als ein knappes Fax der Geschäftsführung alle Repräsentanten informierte, dass Joffe „mit sofortiger Wirkung mehrheitlich zum Vorstandsvorsitzenden gewählt wurde“. Der Gemeindechef ist offiziell der Vorsitzende des Vorstands. Das frühere Gemeindeoberhaupt Andreas Nachama zeigte sich ob dieses mehr als überhasteten Vorgehens der Vorstandsmitglieder irritiert. Der Geschäftsführer der „Topographie des Terrors“ sagte aber, dass dies juristisch wohl nicht zu beanstanden sei: „Ich fürchte, sie können es so machen.“

Dagegen unterstrich Joffe in einer ersten Reaktion, dass dies nur „nach außen“ unüblich wirke. Es sei „alles satzungskonform“ vonstatten gegangen, so der neue Gemeindechef zur taz. Zudem habe man sich im Vorstand auch an Präzedenzfällen orientiert, die Meyer in seiner Amtszeit seit Anfang vergangenen Jahres selber geschaffen habe. Meyer hatte nach seinem Rücktritt angekündigt, bis zur nächsten RV-Sitzung am 16. November kommissarisch amtieren zu wollen. Das wollte man ihm offenbar nicht ermöglichen.

Angesichts des Zweifels vieler Gemeindemitglieder über die Umstände der Wahl Joffes ist schon von möglichen Neuwahlen in der größten jüdischen Gemeinschaft der Bundesrepublik die Rede. Der Zentralrat der Juden hatte bereits vor der Wahl Joffes ungewöhnlich offen Kritik an den fast brutalen Berliner Streitereien geübt, die schließlich zum Rücktritt Meyers führten: „Was hier los ist, hat Signalwirkung und schadet dem Ansehen der jüdischen Gemeinschaft allgemein“, erklärte öffentlich der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer.

Während Schoeps nun bereits das Ende der weltweit fast einzigartigen „Einheitsgemeinde“ befürchtet, die Juden aller Frömmigkeitsrichtungen in einer Gemeinde vereint, kündigte Joffe an, er wolle die Gemeinde „wieder in ruhiges Fahrwasser bringen“.

Joffes Familie war von Lettland nach Israel übergesiedelt, wo er 1972 geboren wurde. Vier Jahre später zog die Familie nach Berlin. In der Hauptstadt promovierte Joffe schließlich an der Freien Universität über die Volkswirtschaft Chinas. Auch aufgrund seiner ostasiatischen Erfahrung betont er nun, er setzte „auf Harmonie statt Konfrontation“. Das allerdings wäre, im Vergleich zu den vergangenen Jahren, wirklich etwas Neues in der jüdischen Gemeinde.