: Ultima Ratio der Rehabilitation
Die bundesweit 28 Berufsförderungswerke helfen all jenen, die ihre gelernten Jobs wegen Erkrankungen nicht mehr ausüben können. Allerdings müssen entsprechende Umschulungen von den Arbeitsagenturen gewährt und bezahlt werden
VON TILMAN VON ROHDEN
Manchmal geraten die beruflichen Pläne durcheinander. Wenn beispielsweise ein Bäcker eine Kontaktallergie gegen Mehl oder andere Bestandteile von Backwaren entwickelt. Dann muss der gelernte Bäcker seinen Beruf möglicherweise völlig aufgeben. Er ist berufsunfähig. Zum alten Eisen gehört er damit noch lange nicht, denn wenn er sich umorientiert und einen anderen Beruf ergreift, steht einem Berufsleben bis zum Erreichen des Rentenalters nichts im Wege.
Menschen, die berufsunfähig sind und damit als behindert gelten, haben verschiedene Möglichkeiten, sich beraten zu lassen. Die Berufsförderungswerke und regionalen Arbeitsagenturen stehen mit Rat und Tat zur Seite. In Letzteren stehen Reha-Berater bereit, Berufsunfähige zusammen mit Medizinern, Psychologen zu untersuchen, zu beraten und mit ihnen neue berufliche Perspektiven zu erarbeiten. Die von Nürnberg aus gesteuerten Einrichtungen haben auch Budgets für die Finanzierung von Umschulungen und Lebensunterhalt. Umschulungen führen sie jedoch nicht selbst durch. Dafür gibt es die bundesweit 28 Berufsförderungswerke.
Sie bieten zweijährige Umschulungen mit einem Kammerabschluss an und führen Kurse durch, die deutlich kürzer dauern und ohne Prüfung einer Berufskammer enden. „Rund 50 Prozent unserer Rehabilitanden haben Probleme mit dem Stütz- und Bewegungsapparat“, sagt Alois Fischer vom Berufsförderungswerk in Leipzig. Die zentrale Aufgabe sei es, die Rehabilitanden in den ersten Arbeitsmarkt zu reintegrieren. Zurzeit seien geschulte Qualitätsfachleute in den Metallberufen gut unterzubringen. „Unsere Vermittlungsquote liegt hier bei 87 Prozent. In allen Berufen beträgt sie rund 65 Prozent.“ Für Leipzig mit 22 Prozent allgemeiner Arbeitslosigkeit sei das ein guter Erfolg.
Dieser hat jedoch mehrere Väter, denn die Berufsförderungswerke sind auf die Arbeitsagenturen angewiesen, die jede Rehabilitation in einem Berufsförderungswerk gewähren und bezahlen müssen. „Berufsförderungswerke sind die Ultima Ratio bei der Rehabilitation von Behinderten“, sagt Markus Körsten von der Arbeitsagentur Nordrhein-Westfalen. „Eine solche Maßnahme kann nur in besonderen Fällen gewährt werden.“ Darunter versteht er beispielsweise Erkrankungen mit einem besonderes hohen Schweregrad. „Menschen mit leichten Behinderungen nehmen die allgemeinen Bildungsangebote wahr“, so Körsten. Er und seine Kollegen sorgen jedoch nur für 35 bis 40 Prozent Auslastung in den Berufsförderungswerken. Die übrigen Menschen mit Behinderungen schicken die Rentenversicherungsträger und Berufsgenossenschaften in die Berufsförderungswerke. Über Arbeitsagenturen kommen oft Menschen mit psychischen Erkrankungen, die eine Berufsausübung verhindern. Berufsgenossenschaften schicken Patienten mit unmittelbar berufsbezogenen Erkrankungen wie Kontaktallergien.
Die Eingliederung behinderter Menschen in den ersten Arbeitsmarkt beruht auf einem bewährten System, das im Wesentlichen seit Ende der 60er-Jahre in der heutigen Form existiert. Es sorgt auch für behinderte Jugendliche, die in bundesweit 52 Berufsbildungswerken eine dreijährige Ausbildung oder kürzere Kurse absolvieren.
Doch in letzter Zeit ist Sand ins Getriebe gekommen. Die Neuaufnahmen in den Berufsbildungswerken sind „stark zurückgegangen“, sagt Roland Böck von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke. „Der Rückgang liegt nicht an den sinkenden Geburtenraten.“ Den schwarzen Peter schiebt er den Arbeitsagenturen zu, „die die gesetzlichen Bestimmungen mittlerweile zu Lasten der Behinderten dehnen“, so Böck. Im Übrigen würden die Arbeitsagenturen immer stärker auf kurzfristige Maßnahmen setzen, denn die seien deutlich billiger. Fragt man bei den Berufsförderungswerken nach, so hört man dort genau die gleichen Klagen.
Markus Körsten von der Arbeitsagentur zieht sich den Schuh aber nicht an. Die Rückgänge erklärt er damit, dass die Beschäftigten aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation Deutschlands nicht mehr in eine Rehabilitation wollten, sondern eher die Zähne zusammenbeißen würden. Der Anteil von Beschäftigten, die in die Reha gehen, sei seit Mitte der 90er-Jahre von 68 Prozent auf schätzungsweise unter 20 Prozent gesunken, so Körsten. Ein weiterer Grund, dass die Arbeitsagenturen weniger Reha-Maßnahmen bewilligen würden, sei, dass es aufgrund der Hartz-Gesetzgebung 69 Kommunen und Landkreise gebe, die das Geschäft der Arbeitsagenturen in eigener Regie betrieben. „Unter diesen neuen organisatorischen Gegebenheiten sinkt die Zahl der Bewilligungen natürlich. Das hat aber nichts mit einer veränderten Politik der Arbeitsagenturen unter dem Druck von Geldmangel zu tun“, so Körsten.
Roland Böck von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke meint dagegen, die Rückgänge in den Berufsförderungswerken und Berufsbildungswerken hätten im Wesentlichen finanzielle Ursachen: „Die Arbeitsagenturen sind klamm und tragen dies auf dem Rücken der Behinderten aus.“ In diese Richtung geht auch eine der taz vorliegene E-Mail eines Reha-Beraters einer hessischen Arbeitsagentur, der sich von der Politik seines Arbeitgebers schwer irritiert zeigt: „Das Einzige, was ich weiß, ist, dass die Ausgabenmittel Reha im Jahr 2005 gekürzt worden sind. Auch mich hat es getroffen. Es bleibt bei der Devise, dass Berufsbildungswerke als Ausbildungsort nur in besonderen Härtefällen gewählt werden können.“