Der Zuschauer als Blume

Tanz im August Mit der Lust am Kommunikativen, dem spielerischen Dialog zwischen White Cube und Bühne und der Sehnsucht nach Minimal gelingt ein vielverheißender Festival-Auftakt

Lucinda Childs Minimalballett „Available Light“ permutiert streng geometrisch. Die Wiederaufnahme des Erfolgs von 1983 wurde jetzt zum Coup Foto: Gerhard F. Ludwig

von Astrid Kaminski

Wenn Willem de Rooijs Konzeptblumenstrauß „Bouquet V“ anstelle des Publikums zum Eröffnungsabend des Festivals „Tanz im August“ im Jugendstiltheatersaal des HAU 1 platziert ist, dann wohl zunächst als kunstgeschichtliche Referenz. Aus 95 Winterblumen (einschließlich botanischer Namensliste) bestand de Rooijs Strauß ursprünglich, seine Bouquets sind wie die alten Blumenstillleben thematisch kategorisiert: etwa nach Jahreszeit, nach Geruch oder auch nach Blumen, die allergen wirken. „Bouquet V“ ist Teil der Privatkollektion des Sammler- und Stifterpaares Haubrok und wurde in einer Variation aus 95 Sommerblumen präsentiert. Ein Auftakt mit Verweisen: Blumen, diese alte Vanitasmetapher, im Publikum; das Publikum auf der Bühne. Ist die Zeit des Auditoriums im Theater vorbei?

Zunächst einmal ist das Bouquet Teil eines so findigen wie augenzwinkernden Coups: Bevor Tanz im August im großen Stil mit Lucinda Childs ursprünglich für das Museum of Contemporary Art in Los Angeles geschaffenen „Available Light“ im Haus der Berliner Festspiele eröffnete, schuf die Kuratorin Virve Sutinen einen Prolog: Sie invertierte das anhaltende Interesse der bildenden Kunst an der Tanzperformance und lud die Haubroks ein, eine Readymade-Kollektion auf der Bühne HAU 1 zu präsentieren. Die brachten edle Stücke mit, darunter Werke Olafur Eliassons, des derzeit absolut überbuchten Danh Vo oder des Malers und Objektkünstlers Andreas Slominski. Der hat dem Event nicht nur den etwas sperrigen Titel „Die Erde zur gleichen Zeit halb so klein und doppelt so groß“ geliehen, sondern auch Pech mit dem Grünflächenamt gehabt: Sein Fußballtor durfte nicht vor dem HAU 1 im Trottoir verankert werden, kam deshalb hinter die Kulissen. Und das trifft ins Herz der Sache: Es zählt die Story. Dass Konzeptkunst nicht ohne den Kontext der Idee auskommt, ist klar; die Bühne verstärkt diese Verquickung offenbar und macht Lust zum Auserzählen. Die Haubroks und sechs Kunsterklärer*innen stehen als Counterparts der Objekte Rede und Antwort.

Eine benutzt das schöne Wort „Unwucht“ für den Umstand, dass zwei einander zugewandte Buffetuhren nicht perfekt zu synchronisieren sind. Es handelt sich um ein Porträt des Sammlerpaars von Jona­than Monk. Haubrok selbst versucht sich unter anderem an einem Werk von Simon Starling: Poul Henningsens berühmte Artischockenlampe trifft im Kopfstand auf einen „billigen“ Daihatsu-Van, mit dem man in Japan „vermutlich Kartoffeln“ transportiert habe und in den einige der konvexen Lampenteile spiegelbildlich konkav getrieben sind.

Bagdad per Bühnenwartung

Die Story ist noch ausbaufähig; perfekt aber das planetenhafte Arrangement auf der Drehbühne des HAU. Manches erzählt sich dagegen etwas platt wie die Geldbörse, die als vermeintliches Fundstück auf dem Boden liegt, oder die Uhr mit „Bagdadzeit“, die von der Bühnenwartung ordnungsgemäß zurückgedreht wurde. Im Gesamten aber ist der Coup gelungen, nicht weil er ein ultimativ neues Konzept bietet (die Bühne ist auch nur eine ‚‚site-spezifische Variante eines Ausstellungsraums), sondern weil er durch das Offenbarmachen von Wechselwirkungen neue Spielarten generiert.

Zudem trifft die Kuratorin Virve Sutinen damit einen weiteren Nerv: den des großen Bedürfnisses nach Kommunikation zwischen Institution und Zuschauer*innen und Künstler*innen und darüber hinaus. Dem trägt auch das neue Format der Dance Circles Rechnung. Dabei wird Besucher*innen ein Rahmen geboten, um sich nach den Aufführungen von Tanz im August untereinander über das Gesehene zu unterhalten. Das Angebot wird angenommen. Nach Eisa Jocsons starkem Hyperstrip-Solo „Host“, in das sie Geishapraktiken an Clip- und Nachtclubästhetik montiert (Kunst der Verführung an Tanzkunst und meditativ selbstbezogene Körperpraktiken), blieben etwa 20 Leute.

Eine Art integratives Format zum Interesse am Kommunikativen entwickelte der Berliner Künstlerzwilling deufert&plischke und bringt das dann auf die Manifestformel „Neues Episches Theater“. Aktuell hat er 24 Stunden lang die Möglichkeit, sein bereits gut erprobtes Konzept des „Durch-ein-anders“ ans Mitmachpublikum zu bringen, einschließlich nächtlichen Parlaments. These: Künftig keine Trennung mehr in Zuschauende und Performende, keine Repräsentation, keine fertige Story.

Die berühmte Artischockenlampe trifft den Kartoffel-Van

Bei Redaktionsschluss läuft die Sache noch, der Auftakt aber hatte eher didaktisches als revolutionäres Potential. Anscheinend versuchen deufert&plischke, ihre Methoden – scheinbar aus Betriebssupervision und Grundschulpädagogik adaptiert – zu etablieren und mit einigem anderen, was zum Output der Berliner Szene zum Thema Partizipation gehört, zu mixen. Sollte das eine Bauchlandung werden, wäre es nicht überraschend, aber auch nicht schlimm. In der Entwicklung des Partizipatorischen haben deufert&plischke bislang eine wichtige Rolle gespielt. Das 24-Stunden-Labor könnte eine Art Filterfunktion übernehmen und ist zudem ein Begegnungsforum des internationalen Festivals mit Praktiken der Berliner Szene.

Auch das ist durchaus eine Stärke von Sutinens klarem, fast klinischem Trendkuratieren: Die Programmpunkte werden nicht emotional unterstrichen, sondern nebeneinandergestellt: Publikumsformate; der sich durchs Festival ziehende Blick nach Asien; die Begegnung zwischen Bildender Kunst und Tanz; das Bedienen des anhaltenden Interesses am inzwischen historischen postmodern dance. Auch bei Letzterem gelingt mit der Retrospektive der britischen Konzeptchoreografin Rosemary Butcher, vor allem aber mit der Koproduktion einer Wiederaufnahme von Lucinda Childs „Available Light“ (1983) ein Coup. Der Erfolg dieses streng geometrischen, wie gedrillt permutierenden Minimalballetts – mit dem einzigen Bühnenbild, das Frank O. Gehry je geschaffen hat, und der (heute retro wirkenden) Synthesizermusik von John Adams – war schon vor der Aufführung sicher.

Der meditative Effekt von Wiederholung und Differenz hat, das wurde auch durch die „Zero“-Ausstellung im Gropiusbau diesen Frühling klar, derzeit Suchtpotenzial. Allerdings trifft für „Available Light“ und seine im dritten Teil strukturell nicht ausgereizte Erweiterung von 10 auf 11 Tänzer*innen zu, was Franz Kafka über Kleists „Michael Kohlhaas“ geschrieben hat: Wäre das Ende nicht etwas schludrig, wär’s perfekt.