Nie mehr Luftgitarre

„Financial Times“-Chefredakteur Gowers scheitert mit seinem Kurs der Neuausrichtung und muss gehen

Sie haben ihn den Preußen genannt, aber damit alles andere als Kadavergehorsam gemeint: Andrew Gowers, bis Donnerstag Chefredeakteur der Financial Times, ist in Deutschland vernarrt, aber ansonsten alles andere als ein märkischer Zinnsoldat. Dass er jetzt mit ziemlich dürren Zeilen verabschiedet wurde, die ihm für seine 22-jährigen Dienste bei der lachsfarbenen Finanz- und Wirtschaftszeitung dankten, hat auch mit Gowers’ Angewohnheit zu tun, mit seiner Meinung nicht hinterm Berg zu halten.

Die Financial Times ist zumindest in Europa immer noch die Wirtschaftszeitung. Doch der Druck durch das Wall Street Journal (WSJ), den Rivalen aus den USA, wächst und wächst. Mit einer Auflage von über 2 Millionen Exemplaren ist das WSJ über viermal so groß wie die FT, die sich im September 439.000-mal täglich verkaufte. Ein gutes Drittel davon macht der britische Markt aus – während das WSJ in ganz Europa mit seinem Wall Street Journal Europe auf gerade mal 86.000 Exemplare kommt.

Doch genau hier liegt Gowers’ Problem: Gestiegen ist die Auflage der FT nur im Ausland, während das Blatt in Großbritannien seit langem an Auflage – und, viel schlimmer, in der Londoner City auch mehr und mehr an Ansehen – verliert. Gowers’ Versuch, die FT vom Wirtschaftsblatt zur Vollzeitung auszubauen, wurde hier seit längerem bemäkelt, auch wenn die Kultur- und Sportseiten oder das von Gowers 2003 eingeführte Wochenendmagazin Ehrungen und Preise anhäuften. Auch wirtschaftlich ist das Blatt halbwegs auf Kurs, nach Verlusten in den vergangenen zwei Jahren soll die FT dieses Jahr wieder Gewinn machen.

Gowers, sagte jetzt ein Weggefährte in der BBC, habe sich weiter verstärkt um das Profil der britischen FT kümmern wollen und das auch unmissverständlich gegenüber dem FT-Besitzer Pearson klar gemacht. Pearson-Chefin Majorie Scardino verlangt dagegen schnelles Wachstum und setzt voll auf den Ausbau der internationalen Ausgaben. Die britische Hauptausgabe dürfte langfristig diesen Interessen untergeordnet werden. Denn Pearson steht unter Druck: Aktionäre und Analysten fordern in schönster Regelmäßigkeit, der Konzern solle sich von der nicht sonderlich ertragreichen FT trennen. Pearson-Insider schließen selbst eine Übernahme durch Rupert Murdoch nicht aus.

Vielleicht wäre Andrew Gowers besser in Berlin geblieben: Hier hat er seit 1999 die Financial Times Deutschland aufgebaut, den deutschen Wirtschaftsjournalismus revolutioniert und zum Entsetzen des Medienestablishments am Ende der ein oder anderen Feierlichkeit hemmungslos Luftgitarre gespielt. Seinen Job in London übernimmt der bisherige FT-Chef in den USA, Lionel Barber. Aber das lachsfarbene Papier bleibt. STG