Das Ding, das kommt: Theater um den Backstein
Gehasst haben ihn die Einheimischen und die Nazis. Dabei kann als sicher gelten, dass der erst 1914 nach Worpswede umgesiedelte Bildhauer Bernhard Hoetger, der seit 1909 eine Professur in Darmstadt bekleidete, von denen gern geliebt worden wäre. Später wenigstens.
Seinerzeit allerdings, als 1922 sein dritter Entwurf für den Niedersachsen-Stein auf dem Worpsweder Weyerberg errichtet wird – die Figur wird aus ortstypischen roten Ziegeln gemauert, statt, wie ursprünglich geplant, aus einem Findling gehauen – trägt Hoetger noch ein dezidiert unpolitisches Selbstverständnis zur Schau. Geradezu systematisch arbeitet Hoetger für die gegensätzlichen Parteien, schafft in Hannover ein Denkmal für den reaktionären General Waldersee, fertigt eine Maske Friedrich Eberts an und schenkt zugleich dem „Hilfsausschuß für die Opfer der Revolution“, die der SPD-Reichspräsident ja 1919 durchs protofaschistische Freikorps Caspari hatte niederschlagen lassen, eine Pietà für den Friedhof im Bremer Arbeiterstadtteil Bremen-Walle.
Die porphyrne Schmerzensmutter der Bremer Räterepublik verunglimpft die SS noch zehn Jahre später als „ausgenommenes Schwein“, ihre Schergen werden die Plastik verwüsten, nur Schwarz-Weiß-Fotografien sind von ihr erhalten.
Die Zerstörung ist dem Niedersachsenstein erspart geblieben. Den hatte sich der Künstler ebenfalls ohne Auftrag und nach eigenen Worten „nur um zu verhüten, daß der Weyerberg mit einem sogenannten Kriegerdenkmal verunziert werden solle“ ausgedacht, und dem „nordischen Zeichen für die gefallenen Krieger“ werden bei der Aufstellung fast ebenso viele Schmähungen zuteil wie der Revolutionspietà: Eine „Verschandelung der Landschaft“ nennt es ein einflussreicher örtlicher Zeitungskritiker, was einen Baustopp nach sich zieht und die Einholung kunsthistorischer und städtebaulicher Gutachten erforderlich macht.
Später wird Rudolf Alexander Schroeder, ein unbedeutender, aber in Bremen hochverehrter und bewunderter Dichter, es als „Wasserkopf“ bezeichnen, als „Unglück“ und „Strawinsky- oder Hindemith Suite“. Und das versteht der bornierte Ignorant als Beschimpfung.
Jetzt wird die expressionistische, gen Himmel strebende rote Vogelgestalt – ornithologisch besonders versierte Kunstkenner bezeichnen sie gern auch als Phönix – zum Gegenstand und zur Kulisse eines Theaterprojekts: „Niedersachsenstein – Inszenierung eines Monuments“ heißt die Performance, die sich der Entstehungsgeschichte des Denkmals widmet, und für die die Worpsweder Cosmos Factory dort bis zur Premiere am 13. August probt. bes
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen