: Leichtigkeit, Poesie und Witz
ENTDECKUNG In Paris wird die bisher kaum bekannte Malerei aus der Demokratischen Republik Kongo präsentiert
von Léocadie Hirsch
Georges Thiry konnte seinen Augen nicht glauben. Es war Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, der Kolonialbeamte Thiry reiste durch die Demokratische Republik Kongo und war fasziniert. Nicht von der Schönheit der Natur oder der Freundlichkeit seiner Bewohner, das sicher auch, was den kunstaffinen Thiry aber so bannte, war etwas anderes. Es waren Malereien, die er auf Hauswänden in dem Dorf Bukama und Kasai entdeckte. Wer waren diese Künstler?
Der Belgier machte sie ausfindig. Er versorgte sie mit Papier und Aquarellfarben und setzte damit den Anfangspunkt für eine Geschichte der Kunst, die bisher so nicht bekannt war. Die Fondation Cartier in Paris stellt nun die Bilder genau dieser Künstler, also die von Albert Lubaki und seiner Frau Antoinette, sowie die wunderbaren Aquarelle Djilatendos aus. Sie sind eine Entdeckung.
Natürlich, die zeitgenössische afrikanische Kunst drückt sich langsam, wenn auch viel zu langsam in den Markt. Man kennt ihre farbenfrohen, meist entgegen aller kruden Realität sehr lebensbejahenden Bilder. Doch dass auch schon lange vor der Jahrhundertwende in afrikanischen Dörfern auf Papier gemalt wurde, das war nicht bekannt, und das hat auch einen Grund.
André Magnin, der Kurator der Ausstellung, der sich während des Rundgangs vor eigener Rührung kaum halten kann, meint, dafür gebe es mehrere Gründe: Zum einen haben diese Maler nicht viel produziert, nachdem Thiry nach Belgien zurückgekehrt war, schickte er zwar weiterhin Material, doch irgendwann brach der Kontakt einfach ab. Zum anderen interessierte sich bisher eigentlich kaum jemand für diese Kunst, und so fristeten viele diese wunderbaren, feinen Malereien ein tristes Dasein in einer Archivschublade der Bibliothèque Royale de Belgique.
Der wichtigste Grund sei aber wohl, dass die Kunst aus Afrika immer und bis heute unterschätzt wird. Primitiv, naiv, dekorativ sind Attribute, die oft in Zusammenhang mit ihr fallen. Ein großer Fehler, wie Magnin jetzt mit dieser Ausstellung beweist. Die Bilder, die Djilatendo und Lubaki in den dreißiger Jahren von ihrem Alltag machten, sind herzzerreißend schön. Sie sind fein und leise, tout en douceur würde man in Frankreich sagen.
Besonders Djilatendos reduzierte: Fast abstrakte Darstellungen von Menschen und Tieren sind beeindruckend, vor allem, wenn man bedenkt, dass er nur aus sich selbst heraus malte, ohne Vergleichs- oder Referenzpunkte, ohne Geschichte. Das gilt auch für seine Nachfolger. Für Pili Pili Mulongy, der wie ein afrikanischer Henri Rousseau malt, für Ngoma, dessen Hauptthema die zwischenmenschliche Kommunikation oder Konfrontation zu sein schien, und auch für Paul Mampinda. Sie alle wussten nichts von ihm oder Lubaki.
So wie auch die bewegte Geschichte der Demokratischen Republik Kongo ist auch ihre Kunstgeschichte eine zerbrochene, eine aufgesplitterte. Sie wieder zusammenzufügen war Magnins Mission. Jahrelang reiste er durch das zentralafrikanische Land auf der Suche nach seinen unbekannten Kunstschätzen. Nur warum ausgerechnet die Demokratische Republik Kongo? „Weil kein Land in Afrika eine so weit zurückreichende und großartige Kunstgeschichte hat. Kein einziges!“ Er ist manchmal selbst noch erstaunt und fassungslos, wenn er vor den farbenfrohen Tier- und Naturdarstellungen eines Bela (40er Jahre) oder eines Raphael Kalela (50er Jahre) steht: „Klar finde ich es teilweise auch kitschig, aber es ist so direkt, und es sagt so viel.“ Tatsächlich hat man im Laufe dieser Ausstellung, die sich von den Anfängen bis zur Gegenwart auch im Gebäude symbolisch hocharbeitet, das Gefühl, über die Kunst auch das Leben im Kongo kennengelernt zu haben.
Man lernt über den Alltag, taucht ein in die reiche Natur und etwas später in die bebenden Nächte des Kinshasa der 60er Jahre. Man sieht in den Fotografien Ambroise Ngaimokos jungen Männern in die Augen, die dort in Schwarzweißbildern voller Witz und Leben in seine Kamera blicken. Vielleicht wird man in dieser Ausstellung selbst etwas naiv, einfach weil man plötzlich nicht mehr verstehen kann und will, warum die Dinge verteilt sind, wie sie es sind. Und genau darum geht es in vielen der Bilder von heute: um die Machtverhältnisse zwischen oben und unten, zwischen Nord und Süd und natürlich auch darum, wie auf den Kontinent Afrika geblickt wird.
Afrika, auch Schwarzafrika ist mehr als nur Armut und Elend und Krankheit und Krieg, das sagen einem die Künstler hier immer wieder. Denn trotz all des Elends, das auch ihre Realität bestimmt, haben sich diese jungen Männer (es sind nur Männer!) einen Witz, eine Leichtigkeit und Selbstironie bewahrt, die absolut erstaunlich ist.
Am Ende kann man als Besucher nur noch laut lachen, wenn man vor der ebenso tragischen wie auch irrwitzigen Darstellung einer politischen Versammlung eines Chéri Chérin steht. Die Politiker sind in seinen Augen nicht mehr als Tiere, Schweine, Ratten und Giraffen, die gelangweilt dem Schimpansen-Redner zuhören. „Parle menteur des parties pourritiques“ steht über der Szene: Lügenreden der verschimmelten Parteien.
Zumindest kann man nun in Paris eine Wahrheit entdecken: Die Demokratische Republik Kongo hat eine ganz eigene Schönheit. Sie zu entdecken ist ein Muss.
Beauté Congo – 1926–2015 – Congo Kitoko. Fondation Cartier, Paris. Bis 15. November. Der Katalog bei Actes Sud kostet 47 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen