1:0 für Südamerika

VON GERHARD DILGER

„Ich bin ein bisschen überrascht“, sagte George W. Bush zu seinem argentinischen Gastgeber Néstor Kirchner, bevor er in Mar del Plata Richtung Flughafen enteilte. „Hier ist etwas passiert, mit dem ich nicht gerechnet hatte.“ Am Samstagnachmittag war das Gipfeltreffen 34 amerikanischer Länder in die Verlängerung gegangen. Es drohte sogar ein Ende ohne eine gemeinsame Erklärung – ein bisher einmaliger Vorgang. Bush und sein Gefolge jedenfalls reisten vorzeitig in Richtung Brasilien ab.

Auslöser für das drohende Scheitern des Gipfels, bei dem nur Kuba fehlte, war der Versuch der USA und ihrer Verbündeten, die Wiederaufnahme der Verhandlungen über die Alca (Amerika-Freihandelszone) für April 2006 festzuschreiben. Schließlich einigte man sich darauf, den Dissens in die Erklärung aufzunehmen: Demnach halten „einige Mitgliedsstaaten“ an ihrer „Verpflichtung zu einem ausgewogenen und umfassenden Abkommen“ fest, „andere“ sind der Auffassung, dass „die notwendigen Voraussetzungen für ein Freihandelsabkommen in der Hemisphäre noch nicht gegeben“ sind.

Auf einer Pressekonferenz am Abend wurde Argentiniens Außenminister Rafael Bielsa noch deutlicher: „Wenn ein Prozess wirtschaftlicher Integration nicht gerecht und ausgewogen ist, keinen wirklichen Zugang zu den Märkten ermöglicht, die handelsverzerrenden Elemente nicht beseitigt und Asymmetrien nicht berücksichtigt, ist er tot.“ Argentinien könne auch noch „24, 86, 125 Monate oder mehr“ warten, bis sich das ändere.

24 Stunden zuvor hatte Mexikos Präsident Vicente Fox öffentlich mit einer 29-Länder-Alca gedroht, falls sich Venezuela und die vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay weiterhin sperren sollten. Auch auf dem Treffen brachte er das umstrittene Projekt zur Sprache, was ihm einen Rüffel von Kirchner und einen Händedruck Bushs einbrachte. Wenig später trug Panamas Vertreter einen „Kompromissvorschlag“ vor, der Washingtons Handschrift trug. Nur fünf Länder seien dagegen, drängten die Zentralamerikaner. „Es geht hier nicht um Stimmen, sondern um einen Konsens“, blaffte Kirchner zurück. „Ich glaube nicht, dass Sie sich mit 75 Prozent des südamerikanischen Bruttoinlandsprodukts anlegen wollen“.

Schützenhilfe bekam er von Chiles sozialdemokratischem Präsidenten Ricardo Lagos. „Wirtschaftswachstum und Handel müssen auf gerechten Regeln aufbauen“, sagte der Alca-Befürworter, „die Agrarsubventionen tun dies nicht“. Die USA und die EU fördern ihre Bauern mit einer Milliarde Dollar täglich, womit sie regelmäßig Kleinbauern, Großfarmer und Staatschefs des Südens gegen sich aufbringen.

Verständlich also, dass auch Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva Alca-Verhandlungen zumindest derzeit für „nicht angebracht“ hält. „Wir halten die Welthandelsorganisation für das passendere Forum“, sagte Lula im Hinblick auf das WTO-Ministerteffen, das in wenigen Wochen in Hongkong stattfindet. Dort wollen die Länder des Südens, allen voran Brasilien und Argentinien, auf einen spürbaren Subventionsabbau drängen.

Der Druck der USA ließ sogar die latenten Spannungen zwischen den beiden südamerikanischen Nachbarn in den Hintergrund treten. In seinem Ringen mit dem Internationalen Währungsfonds nämlich fühlt sich Kirchner von Lula im Stich gelassen. Gegenüber Bush und vor allem in der Eröffnungsrede gab der Argentinier Kostproben seines schnörkellosen Stils: Die „Einheitsrezepte“ des neoliberalen Modells seien gescheitert, sagte Kirchner, gegenüber Argentinien habe sich der IWF „pervers“ verhalten.

Vicente Fox verzog keine Mine, Hugo Chávez war begeistert. Wenn man sich das Freihandels-Projekt Alca als ein Fußballspiel vorstelle, analysierte Baseballfan Chávez vor der Presse, hätten die USA gegen Lateinamerika bisher in jeder Minute ein Tor geschossen. Damit sei es ab jetzt zu Ende.