Abgewiesen wird keine

OBDACHLOS Immer mehr Frauen suchen Notübernachtungen auf. Alle sind schwer psychisch krank

In der Regel sind es Männer, die bei den Einrichtungen der Kältehilfe um ein Nachtquartier bitten. Aber die Zahl der obdachlosen Frauen nimmt zu. In der Nacht zu Dienstag schliefen im Notübernachtungslager der Berliner Stadtmission in der Lehrter Straße 124 Männer und 22 Frauen. In der Nacht davor war es ähnlich. „2007 hatten wir vielleicht fünf Frauen pro Nacht“, sagt Ortrud Wohlwend, Pressesprecherin der Stadtmission. Jedes Jahr wurden es mehr. In diesem Monat wurde nun erstmals die 20er Grenze überschritten.

Wohlwend kann sich diese Entwicklung selbst nicht erklären. Zumeist handele es sich um gebürtige Deutsche aus allen Bundesländern, auch einige wenige Osteuropäerinnen seien darunter. Die Frauen seien zwischen 20 und 40 Jahren alt, es kämen aber auch 60-Jährige. Was alle eint: „Sie sind psychisch krank, und zwar ganz schlimm“, so Wohlwend.

Ein Raum nur für Frauen

Für Frauen ist in der Lehrter Straße ein Raum reserviert. Männern ist der Eintritt verboten. Wer das missachtet, bekommt sofort Hausverbot, erklärt die Sprecherin. „Wir tun alles, um die Frauen zu beschützen.“ Kontakt zu den Frauen zu bekommen sei für die Mitarbeiter der Stadtmission jedoch ausgesprochen schwierig. „Die Frauen machen zu.“ Ihre ganze Haltung signalisiere Abschottung. „Sie essen und rollen sich dann wie ein Embryo in einer Ecke zusammen.“

Dass grundsätzlich mehr Männer als Frauen von Obdachlosigkeit betroffen sind, erklärt die Sprecherin der Stadtmission so: Männer seien eigentlich das schwächere Geschlecht, aber ihre Rolle sei, stark zu sein. Das führe dazu, dass sie die drohende Obdachlosigkeit schlichtweg ignorierten. „Scheidung oder Frau gestorben, Arbeit verloren – Männer hauen einfach ab“, so Wohlwends Erfahrung.

Frauen dagegen schafften es leichter, um Hilfe zu bitten– vor allem wenn auch Kinder betroffen seien. Psychisch kranken Frauen hingegen gehe es wie psychisch kranken Männern. „Sie sehen die Gefahr nicht und landen auf der Straße.“

Die Stadtmission betreibt einen Kältebus und drei Notunterkünfte mit 150 festen Plätzen. Ist die Nachfrage größer, werden Isomatten ausgelegt. „Keiner wird abgewiesen“, betont Wohlwend. „Zu uns kommen die Elendsten der Elenden“.

PLUTONIA PLARRE