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Archiv-Artikel

Tony Blair droht erste Niederlage

Anti-Terror-Debatte in Großbritannien: Werden aufsässige Labour-Abgeordnete die geplanten Gesetzesverschärfungen kippen und den Premier zum Rücktritt treiben?

DUBLIN taz ■ Tony Blair ist auf dem Rückzug. Der britische Premierminister muss seine Gesetzespläne, wonach Terror-Verdächtige bis zu 90 Tage ohne Anklage festgehalten dürfen werden sollen, vermutlich fallen lassen. Eine Reihe von Labour-Abgeordneten warnten ihn, dass er die Abstimmung morgen im Unterhaus verlieren werde, falls er keinen Kompromiss eingehe. Darüber hinaus könnten die Tories dann das gesamte Anti-Terror-Paket zu Fall bringen.

Neben der umstrittenen Internierung beinhalten die vorgesehenen Maßnahmen abendliche Ausgehverbote, elektronische Überwachungsarmbänder und Hausarrest. Außerdem kann den Betroffenen laut Gesetzesvorlage der Zugang zum Telefon oder dem Internet gesperrt und ihnen der Kontakt zu bestimmten Personen verboten werden.

Der Labour-Abgeordnete Ian Gibson sagte, dass Blair gehen müsse, sollte er die Parlamentsabstimmung verlieren. „Er hat immer gesagt, dass er zurücktreten werde, wenn er im Unterhaus unterliegt“, sagte Gibson. So muss sich Blair wohl mit der Erweiterung der Haft ohne Anklage von 14 auf 28 Tage begnügen, um seine Haut zu retten. Er sagte gestern jedoch trotzig, die Gegner seiner Reformvorschläge seien „gefährlich selbstherrlich“.

Polizei und Bevölkerung unterstützten Blairs Plan nahezu einmütig. Michael Todd, Polizeichef von Manchester und Mitglied im Anti-Terror-Ausschuss der Polizei, sagte: „Die Leute, die direkt in den Kampf gegen den Terrorismus involviert sind, halten die 90-Tage-Regelung für unabdingbar, um die Bevölkerung dieses Landes vor einem Angriff zu schützen.“ Um einen Prozess gegen mutmaßliche Terroristen vorzubereiten, müsse die Polizei Computer-Codes knacken, Kollegen in anderen Teilen der Welt konsultieren und manchmal auch forensische Beweise an Explosionsorten sichern, sagte er. Dazu brauche man allemal 90 Tage. Eine Fernsehumfrage hat ergeben, dass 72 Prozent der Bevölkerung seiner Meinung sind. Die Hälfte verlangt allerdings, dass ein hochrangiger Richter die Internierung absegnet.

Doch die Richter sind gegen eine Gesetzesreform in dieser Art. Der Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith sagte, ihm seien keine überzeugenden Argumente für eine Verlängerung der Haft ohne Anklage auf 90 Tage bekannt – ein deutlicher Affront gegen Blair, der das Gegenteil behauptet. Lordrichter Woolf, der vorigen Monat in Pension gegangen ist, warnte vor einer schleichenden Erosion des Rechtsstaates: „Wenn man die Regeln ändert, akzeptiert man eine neue Ebene, die dann zum Ausgangspunkt wird, während sie bis dahin das Äußerste dessen war, was akzeptabel ist“, sagte er.

Ausgerechnet die oppositionellen Tories haben sich in dieser Debatte zu Hütern der bürgerlichen Freiheiten aufgeschwungen, auch wenn es einigen hochrangigen Mitgliedern des Schattenkabinetts unnatürlich erscheint, sich auf die Seite der Bürgerrechtsorganisationen und gegen die Polizei zu stellen. Doch der frühere Tory-Premierminister John Major sagte: „Ich finde, eine 90-Tage-Regelung ist in einer liberalen Gesellschaft völlig unangebracht.“

Blair hat bereits vorige Woche nur um Haaresbreite eine Unterhaus-Niederlage bei einer Abstimmung zu dem Thema abwenden können, als er einen unerfahrenen Abgeordneten in letzter Minute aus dem Lager der Rebellen zurückpfiff. So ging die Vorlage, die eine „Verherrlichung von Terrorismus“ unter Strafe stellt, mit einer Stimme Mehrheit durch.

Blairs Schwierigkeiten haben dazu geführt, dass die Diskussionen um seinen Rücktritt wieder lauter geworden sind. Viele Labour-Hinterbänkler haben das Gefühl, dass Blair nur noch an seinem Vermächtnis für die Geschichte arbeite. RALF SOTSCHECK