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Archiv-Artikel

Im alten Berlin wartet ein hübsches Meydl

VERFREMDETER KLEZMER Daniel Kahn & The Painted Bird verbinden auf „Bad Old Boys“ Rock und Jazz mit klassischem jiddischen Liedgut. Heute Abend spielt der Wahlberliner mit Band im Festsaal Kreuzberg

Kahn erweist dem DKP-Liedermacher Franz-Josef Degenhardt seinen Respekt und covert seinen Song „Die alten Lieder“

VON ANDREAS HARTMANN

Auf dem Cover von „Bad Old Songs“, der neuen Platte von Daniel Kahn, sieht man einen alten und verwilderten, mit Gestrüpp überwucherten jüdischen Friedhof. Auf einem der Grabsteine steht: „Die alten bösen Lieder“. Ein paar wilde Blumen wachsen zwischen dem Friedhofsgerümpel, ein kleines Mädchen scheint diese gerade zu pflücken.

Alles ist hochsymbolisch auf diesem Covergemälde. „Die alten bösen Lieder“, das ist das begrabene und vermoderte Liedgut, das der seit acht Jahren in Berlin lebende Kahn zusammen mit seiner Band The Painted Bird einer Neubetrachtung unterzieht. Volksweisen und Arbeiterlieder, Songs über Schmerz und Hoffnung werden von ihm neu zum Erblühen gebracht.

Aber auch ganz wortwörtlich wird „Die alten bösen Lieder“, der düstere Schumann-Gassenhauer gecovert, im typischen Kahn-Stil, mit einer jubilierenden Violine, virtuos gespieltem Piano und dieser Art, im kurzen Songformat großes Drama und große Gefühle auszudrücken. Die Musik von Daniel Kahn wird gern Klezmer genannt. Kahn, der eine Zeit lang in New York gelebt und in New Orleans als Barpianist gearbeitet hat, bevor er in Berlin seine Band gründete, singt neben Deutsch und Englisch auch Jiddisch und seine Musik knüpft auch durchaus an die Tradition des jüdischen, osteuropäischen Klezmer an.

Doch so wie der New Yorker Jazzmusiker John Zorn und sein Umfeld aus der „Radical Jewish Culture“ den klassischen Klezmer mit Jazz- und Rockelementen angereichert haben, so denkt man bei Daniel Kahn & The Painted Bird fast eher an eine Rockband mit Klezmer-Einflüssen als umgekehrt. Diese mit Ukulele und Akkordeon unterfütterte, teils bewusst schepprig arrangierte Musik, die auch Tom Waits so einiges verdankt, hat sogar Ähnlichkeiten mit einigen hippen Rockbands des kanadischen Independent-Labels Constellation, die mit jüdischer Musiktradition herumexperimentieren. Daniel Kahn selbst nennt das, was er da macht, „Verfremdungs-Klezmer“, auch um damit auszudrücken, dass er ein alter Bewunderer von Bertolt Brecht ist. Aber er hat sie auch wirklich überall drin in seiner Musik, die V-Effekte, die Brecht prägte. Gleich der erste Song der Platte, „A Meydl From Berlin“, geht los in Jiddisch, bevor Kahn dann plötzlich in Englisch darüber singt, dass er einst ein hübsches Mädchen liebte, „irgendwo im alten Berlin“, um dann erneut ins Jiddische überzugehen.

Die Sprachwechsel passieren so unvermittelt, dass man als Hörer wirklich kurz innehält und sich fragt, was da gerade passiert, ganz so, wie es sich der alte Brecht gewünscht hätte. Kahn selbst sagt, das Ziel seiner Musik sei es, zu beweisen, dass die Geschichten alter Lieder auch heute noch ihre Gültigkeit besitzen. So wie man früher von unglücklicher Liebe sang, von der Einsamkeit und all der Ungerechtigkeit in dieser Welt, so kann man das auch noch heute tun. Nur die musikalischen Mittel sollten eben andere sein, denn Nostalgie, das betont und beweist er auch mit seiner Musik, liegt ihm dabei fern.

Eher geht es um die für ihn immer noch gültige Wertschätzung internationaler, ja: Volksweisen. Kahn interpretiert auf seiner neuen Platte auch einen Song des jüdischen Songpoeten Leonard Cohen neu und, ganz erstaunlich, auch „Die alten Lieder“ des deutschen DKP-Liedermachers Franz Josef Degenhardt. Der Liedermacher stellte in dem Song fest, dass an dem Spruch „Böse Menschen haben keine Lieder“ nichts dran sei – man könne aber so manches deutsches Lied einfach deswegen nicht mehr singen, da es von den Nazis missbraucht wurde.

Mit dem Cover dieses Songs erweist Kahn Degenhardt seinen Respekt. Auf einer früheren Platte hat Daniel Kahn aber bereits „Lili Marleen“ gecovert, auch eines dieser von den Nazis eingebräunten Lieder, das sich gegen den Missbrauch aber nicht wehren konnte. Degenhardt hätte es nun aber bestimmt gefallen, zu sehen, dass so ein seiner These nach unbrauchbar gewordenes Lied durch einen jüdischen Klezmermusiker auch wieder entkontaminiert werden kann.

■ Daniel Kahn: „Bad Old Songs“ (Oriente/Fenn Music) – heute im Festsaal Kreuzberg, 20 Uhr, www.festsaal-kreuzberg.de