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Archiv-Artikel

Bollwerke der Ablehnung

ZEITGESCHICHTE Die DDR wollte einst die Kontinuität der faschistischen Unternehmenseliten in der Bundesrepublik beweisen. Der Westen wies das zurück. In Jena diskutierten Norbert Frei, Tim Schanetzky, Jonas Scherner und Carola Sachse über die Wirtschaft des NS-Regimes

Nahezu alle renommierten Unternehmenshistoriker waren in Jena mit von der Partie

VON CHRISTIAN SEMLER

Auf der Titelseite der AIZ, der Illustrierten aus dem roten Münzenberg-Pressekonzern, sehen wir in der Ausgabe vom Oktober 1932 einen kleinen Adolf Hitler rechts unten im Bild, wie er den Arm zum Hitlergruß anwinkelt. Hinter ihm steht – in vielfacher Größe – ein Mann in feinem Tuch, dessen Gesicht nicht zu sehen ist. Er steckt ein Bündel Geldscheine in die geöffnete Grußhand des Führers. Der Titel der Fotomontage lautet: „Der Sinn des Hitlergrußes“. Am unteren Bildrand, in Hitlers Rücken ist zu lesen: „Millionen stehen hinter mir!“, und die Unterzeile lautet: „Kleiner Mann bittet um große Gaben“. Die Montage stammt von John Heartfield. Noch drei Monate, und Hindenburg wird Hitler zum Reichskanzler ernennen.

Dass eine Reihe deutscher Unternehmer Hitler vor 1933 unterstützte, ist ebenso klar, wie dass das Gros der deutschen Kapitalisten in den Dreißigerjahren von der Naziherrschaft profitierte. Aber wie genau sich das Verhältnis der Unternehmer zu „ihrem“ Führer entwickelte und wie es sich charakterisieren lässt, ist seit Jahrzehnten umstritten. Am Wochenende machte es sich nun der zeitgeschichtliche Lehrstuhl an der Uni Jena zur Aufgabe, diese Kontroverse in zwei Schritten nachzuzeichnen. Zuerst sollte der Forschungsverlauf untersucht, dann der Ertrag diverser Forschung dargestellt werden.

Politik versus Wirtschaft?

Nahezu alle renommierten Unternehmenshistoriker waren mit von der Partie. Wer glaubte, dass Unternehmensgeschichte eine dröge, hauptsächlich mit Geschäftsberichten und unverständlichen Grafiken befasste Angelegenheit wäre, sah sich auf angenehme Weise enttäuscht.

In seinem Einleitungsbeitrag plädierte der Zeitgeschichtler Norbert Frei dafür, die Dichotomie Politik versus Wirtschaft hinter sich zu lassen. Es sei falsch, Unternehmern und Managern während des NS-Regimes stets ein rational-kalkulierendes Vorgehen zu unterstellen, stets bei Entscheidungen von einer unternehmerischen Eigenlogik auszugehen. Die Ökonomie war, so Frei, nicht Wirtschaft im, sondern Wirtschaft des NS-Regimes, weshalb man nicht von „Partnern“ im Sinne eines Gegenübers sprechen könne. Auch die Wirtschaft sei für die Volksgemeinschaftsideologie samt deren Verrücktheit gewesen. Als Beispiel führte er Friedrich Flick an und dessen irrationale Fixierung auf eine künftige Flick-Dynastie.

Die Unternehmenshistorikerin Carola Sachse ließ den Streit der 1960er- und 1970er-Jahre, ob im Nationalsozialismus die Politik, also der NS-Staat, oder die Ökonomie, also die Unternehmer und ihre Verbände, das „Primat“ gehabt habe, nochmals Revue passieren. Die These vom Primat der Ökonomie wurde früher starr von den DDR-Historikern und ihren westdeutschen Adepten vorgetragen. Sie folgten der Definition, die 1935 auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale beschlossen wurde. Sie lautete: „Der Faschismus ist die offen terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“ Die Schwächen dieser Definition liegen offen zutage. Sie konnte den mörderischen Antisemitismus genauso wenig erklären wie die nazistische Autarkie- und Expansionspolitik. Die undogmatische Linke bezeichnete sie als unbrauchbar angesichts der politischen Dynamik des NS-Staates, der den kapitalistischen Charakter der Produktion zwar erhalten, aber seinen Zielen untergeordnet habe. Eine richtige Einsicht, die allerdings, so Sachse, von einer dicken Patina bedeckt sei.

In den 1960er- und 1970er-Jahren war diese Diskussion Ausdruck der Systemkonkurrenz zwischen beiden deutschen Staaten. Die DDR wollte die Kontinuität der faschistischen Unternehmenseliten in der Bundesrepublik beweisen. In der Bundesrepublik aber wurde dies als schiere Propaganda zurückgewiesen. Die Unternehmen sahen sich als Opfer der NS-Politik, der nazistischen Gewaltherrschaft ausgeliefert, zum Mitmachen verdammt. Dies änderte sich erst in den 1980er-Jahren, einer „lebhaften Kampfsituation“, wie Tim Schanetzky in seinem Vortrag ausführte. Bis zu dieser Zeit verstanden sich Unternehmensarchive als Bollwerke der Ablehnung jeder Forschung. Geöffnet wurden sie nur anlässlich der Selbstbeweihräucherung mittels Festschriften und im Dienste der Public Relations. In den 1980er-Jahre nun erlebte man die Gründung und rasche Verbreitung von Geschichtswerkstätten, von lokalen Initiativen fast immer außeruniversitärer Herkunft. Nicht umsonst konzentrierte sich deren Arbeit auf die Geschichte der Zwangsarbeit, gab es doch hier einen moralischen Einsatz. Die Täter (nahezu alle deutsche Unternehmen) standen ebenso fest wie die Opfer und wie die Forderung: Entschädigung.

Im Fall der Festschrift des Daimler-Konzerns anlässlich seines hundertjährigen Bestehens griff die oppositionelle Daimler-Betriebsgruppe „Plakat“ solche Forderungen auf. Daimler sah sich mit einer konkurrierenden Gegenstudie aus dem Hamburger Institut für Sozialforschung konfrontiert. Da begann der Damm zu brechen. Heute werden zumeist unabhängige wissenschaftliche Institutionen mit der Erstellung von Firmengeschichten betraut.

Die Gründe für diesen Positionswechsel liegen auf der Hand: Die dritte Generation von Managern nach dem Nazismus, durch keinerlei Loyalität mit den Altvordern verbunden, wollte endlich „die Kuh vom Eis haben“. Bei seiner Untersuchung über die Behandlung des Zwangsarbeiterkomplexes kam Constantin Goschler zu vergleichbaren Ergebnissen. Bei den Nürnberger Prozessen wurde die Anordnung von Zwangsarbeit noch als eines der schrecklichsten Verbrechen angesehen. Doch in der Bundesrepublik wurde sie als Normalfall der Kriegswirtschaft bagatellisiert. Dies wurde unter internationalen Druck sowie durch örtliche Initiativen ein zweites Mal „skandalisiert“.

Für „normale Zeiten“

Heute geht es, wie Carola Sachse ausführte, um möglichst präzise Beschreibungen der Akteure und um detaillierte Untersuchungen von Institutionen. Die Opfer stehen jetzt im Mittelpunkt. Betriebliche Untersuchungen zum Einsatz von Zwangsarbeit und örtliche Studien zum Prozess der Arisierung bezeugen diese Tendenz in den letzten 10 Jahren.

Im zweiten Teil des Symposions, das dem Ertrag der Unternehmensforschung abhandelte. flackerte immer wieder ein Streit auf, der tatsächlich die zentrale Frage im Verhältnis von NS-Staat und Unternehmen berührt. Wie autonom waren die Unternehmer gegenüber den staatlichen Instanzen, hatten sie Handlungsspielräume, oder waren sie durch das Netz der Kontrollen und Auflagen so gefesselt, dass man sie nicht mehr als Marktakteure bezeichnen konnte? Für die These einer weitgehenden Autonomie der Unternehmer treten die Mannheimer Wissenschaftler Christoph Buchheim und Jonas Scherner ein, Letzterer als Referent in Jena. Die Gegenposition, die Annahme übermächtigen Staatszwangs, vertritt der US-amerikanische Historiker Peter Hayes. Scherner untersuchte die Investitionstätigkeit einer Reihe von Großbetrieben und deren Verträge mit dem Reichswirtschaftsministerium. Dabei stellte sich heraus, dass sich fast immer die Betriebspolitik durchsetzte und die Betriebe den Vertrag bekamen, den sie für den günstigsten hielten. Aus der ablehnenden Haltung von Betrieben zu Kartellisierungen oder zu Fusionen folgten keine Sanktionen gegen sie. Nach Scherner scheint klar zu sein, dass das NS-Regime unabhängige, miteinander konkurrierende Betriebe, denen Auflagen erteilt werden konnten, den Staatsbetrieben vorzog. Man schätzte deren überlegenes Know-how. Die privaten Betriebe aber konnten die Brauchbarkeit ihrer Investitionen für spätere, „normale“ Zeiten in ihr Kalkül einbeziehen.

Scherners Argumentation konnte in Jena nicht erschüttert werden. Für den Charakter der Betriebe erwies es sich als irrelevant, dass, wie eingewandt wurde, für ihre Produkte kein Markt existierte. Und auch der Versuch der Hannoveraner Historikerin Cornelia Rauh, Beweise für die Anwendung von Zwang bei den „Wirtschaftbürgern“ beizubringen, erwies sich als zu schmal für Verallgemeinerungen.

Folgt aus diesen Jenaer Ergebnissen die Notwendigkeit, das Verhältnis von Zwang und Freiwilligkeit für die gesamte Bevölkerung unter dem NS-Regime neu zu bestimmen?

Kaum. Denn schließlich gehörte die Großwirtschaft zusammen mit der Wehrmacht und dem Naziblock auf die Seite der Herrschenden.