DER SCHNEE, DAS EIS, DER WINTERDIENST, DIE ZUGEZOGENEN, DIE EINHEIMISCHEN UND DIE GANZ ANDEREN BRÜSSELER
: „In Brüssel ist niemand für irgendetwas verantwortlich“

Nebensachen aus Brüssel

VON ERIC BONSE

Der Hilferuf klang dramatisch. „Gerade ist eine hochschwangere Frau direkt vor mir auf dem vereisten Bürgersteig ausgerutscht und gestürzt.“ Dies „zwitscherte“ mein Brüsseler Journalistenkollege Jean Quatremer per Twitter in die Welt hinaus. Gleich darauf würden sich ganz viele hilfsbereite und besorgte Menschen melden und die arme Frau versorgen, dachte ich. Doch weit gefehlt! Stattdessen entwickelte sich auf dem Twitterportal eine fatalistische Diskussion über den nicht vorhandenen Winterdienst und die fehlende Hilfsbereitschaft in Brüssel.

„Es ist völlig normal, dass niemand reagiert“, schrieb eine junge Frau. „In Brüssel ist niemand für irgendetwas verantwortlich.“ Leider hat sie nur zu recht. Es sind ja nicht nur die vereisten Bürgersteige, die einfach nicht geräumt werden. Da sind die Müllsäcke, die seit Tagen auf den Straßen liegen und verrotten. Zum Jahreswechsel hatte die Brüsseler Gemeinde Ixelles die geniale Idee, die Müllabfuhr neu zu organisieren und die Abholtage zu ändern. Viele Bürger haben dies nicht mitbekommen. Seither stapelt sich der Müll, und niemand denkt im Traum daran, ihn wegzuschaffen.

Dabei ist es nicht so, dass die Brüsseler ignorante Menschen wären. Ganz im Gegenteil, die „Ureinwohner“ sind für ihre herzliche Art berühmt. Doch sind die echten Brüsseler in der Hauptstadt Europas hoffnungslos in der Minderzahl. Vor allem in angesagten Stadtteilen wie Ixelles, wo viele „Europäer“ wohnen, machen sie sich rar. Zum anderen ist die Verwaltung alles andere als effizient. Sieht man einmal von den Steuerbehörden ab, so funktioniert (fast) nichts so, wie es eigentlich sollte.

Und was ist nun aus der schwangeren Frau geworden? Ich habe keine Ahnung. Denn auch auf Twitter läuft längst nicht alles so, wie es sollte. Zwar meldete sich noch eine „Zazie“ mit dem Appell, der Gestürzten doch endlich zu helfen, statt bloß über sie zu schreiben. Nichts da. Stattdessen entspannte sich ein bizarrer Streit über die Frage, wie Franzosen und Marokkaner mit dem Winterchaos umgehen – und ob es rassistisch sei, sich lauthals über die Anarchie in der EU-Hauptstadt zu beschweren.

In Brüssel leben nicht nur viele „Europäer“, sondern noch mehr Marokkaner. In diesem Fall haben sie sich alle aufs Glatteis führen lassen. Zum Glück hat jetzt Tauwetter eingesetzt …