: Aufgefrischter Enthusiasmus
KULTUR Die Kulturfabrik Moabit ist mit ihren BetreiberInnen ein wenig in die Jahre gekommen. Jetzt wird sie saniert. Ein Jugendgästehaus soll das Publikum verjüngen
■ In der Kulturfabrik Moabit in der Lehrter Straße 35 sind vier Vereine aktiv: das Kino Filmrauschpalast, der Slaughterhouse-Club, das Theaterdock und die Werkstatt 35 Services. Außerdem gibt es ein Café und eine Kinderbetreuung. Die Vereine mit den meisten Einnahmen zahlen den größten Teil der Betriebs- und Mietkosten.
■ Das Gebäude wurde 1911 für den Wertheim-Konzern erbaut und beherbergte unter anderem eine Heeresfleischerei und eine Konservenfabrik. Zwischen 1976 und 1991 stand es völlig leer.
VON MANUELA TOMIC
Arian Berndt wirft Holz in den Allesbrenner: „Oft kommen nur drei Leute, aber das Kino muss trotzdem ordentlich geheizt sein.“ Der kahle Raum mit den verschlissenen roten Kunstledersesseln ist sein Arbeitsplatz in der Kulturfabrik Moabit an der Lehrter Straße. Berndt – runde Brille, Vollbart, Winterjacke – hat auf einem riesigen Tisch seinen weißen Laptop aufgeklappt. Er organisiert Veranstaltungsreihen und ist für die Technik zuständig. Wie die meisten AktivistInnen der Kulturfabrik arbeitet er hier ehrenamtlich.
Aus dem großen Fenster kann man in den Hof hinunterblicken, wo es im Sommer Open-Air-Kino gibt. Jetzt, im Winter, stapeln sich dort Holzscheite. Dieser provisorische Charme macht die Kulturfabrik nun seit über 20 Jahren aus. Für die Betreiber birgt er auch Schattenseiten: Wasserleitungen frieren bei Minusgraden ein, viele Räume sind gar nicht beheizbar und für Besucher geschlossen.
Als mehrere Vereine von Moabiter Anwohnern, Künstlern und Studenten 1991 das leer stehende Gebäude am nördlichen Ende der Lehrter Straße übernahmen, brachten sie erstmals alternatives Leben in den Kiez. Erst entstand ein Café, dann ein Club und ein Theater. Später kamen eine Werkstatt, ein Kino und eine Kinderbetreuung hinzu.
Ab dem kommenden Mai wird das Haus saniert und um eine Jugendherberge erweitert. Den Umbau finanziert die Deutsche Stiftung Klassenlotterie gemeinsam mit dem Sanierungsträger, der Gesellschaft für Stadtentwicklung gGmbH (GSE) sowie der Kulturfabrik selbst. Das Gebäude erhält ein neues Dach und neue Fenster, alle Räume werden für die Nutzung fit gemacht. 18 Monate soll der Umbau dauern, trotzdem geht das Kulturprogramm weiter. Die Betreiber sind froh darüber: Mit den Beschwernissen der letzten zwei Jahrzehnte weitermachen, das möchte keiner. Allerdings werden nach der 3,85 Millionen Euro teuren Sanierung auch die Mieten steigen.
Wieder mehr Junge
Wenn es nach Arian Berndt geht, soll die „neue“ Kulturfabrik wieder mehr junge Menschen anziehen. Das studentische Element, das die Fabrik anfangs ausmachte, gebe es nicht mehr: „Das alles hier hat als Enthusiasten-Club begonnen, aber die Gründergeneration ist dabei hängen geblieben und alt geworden.“
Einer der Hängengebliebenen ist Torsten Dorow, der sich neben Berndt auf einen Barhocker gesetzt hat, um an seinem Computer zu arbeiten. Er fühlt sich nicht angegriffen und nickt. Dorow, der wie Berndt zum Vorstand des „Filmrauschpalasts“ gehört, hat langes weißes Haar und einen buschigen Bart. Das Kino-Café ist sein Büro. Er kommt ins Schwärmen, wenn er an die 90er denkt: „Bei den Veranstaltungen dachten wir: Jetzt lassen wir die Sau raus.“ Ob jemand stundenlang aus Kaufhauskatalogen vorlesen oder eine Barbie-Puppe verbrennen wollte – alles war möglich auf der offenen Bühne beim jährlichen „Schlechtival“. Das ist Geschichte. Heute arbeitet Dorow im Café und übernimmt geschäftsführende Tätigkeiten, damit der Laden läuft.
Staatliche Förderung erhält die Kulturfabrik nicht, nur für einzelne Projekte gibt es Unterstützung. Daher lebt der Dachverein – der Kulturfabrik Lehrter Str. 35 e. V. – von der Querfinanzierung. Das Café und der Club, das Slaughterhouse, bringen das meiste Geld und finanzieren die kleineren Vereine mit. In Zukunft wird dieses Modell weiter ausgebaut: Der Bund Deutscher PfadfinderInnen möchte in den beiden oberen Stockwerken, die bislang gesperrt waren, ein Jugendgästehaus einrichten. Damit öffnet sich die Fabrik für Besuchergruppen – Übernachtung, Kunst, Kultur und Workshops inklusive. Das Modell soll den regulären Betrieb subventionieren.
Von den ehemaligen Künstlern, den Wodkabesäufnissen und dem Chaos der 90er erzählen heute nur noch die abgewetzten Möbel, die Risse in den Mauern und zerkratzten Böden. Bald werden auch viele dieser Spuren verschwinden. Heute bringen die Betreiber statt Alkohol ihre Laptops mit, um in den provisorisch ausgestatteten Räumen zu arbeiten. Dieses Jahr kommt viel Bürokratie auf sie zu: Die Mitglieder müssen das Haus ganz alleine managen. Aus Anarchie wurde Struktur, aus Freiheit ein Selbstverwaltungsvertrag.