: Verwirrung der Gefühle
BAROCKBOOM Andreas Kriegenburg inszeniert Georg Friedrich Händels „Orlando“ an der Semperoper in Dresden reichlich gedämpft und ohne sinnlichen Furor
Es gehört auch an der Semperoper in Dresden längst zum guten Ton, das dortige, auf Wagner und Strauss orientierte Kernrepertoire in Richtung Barockoper zu öffnen. Vor allem in München hatte man in den letzten Jahrzehnten mit dieser Blickerweiterung dem Barockboom Aufwind verschafft, für den die Spezialisten der Branche, ob nun mit den drei Händelfestspielen in Halle, Göttingen und Karlsruhe oder mit zahlreichen historisch informiert spielenden Ensembles die Vorarbeit geleistet hatten.
Heutzutage muss sich freilich jede Händel-Aufführung an dem mittlerweile erreichten Standard messen lassen. Für ihren zweiten neuen Händel, nach der „Alcina“, schickt die Semperoper die fünf Protagonisten, die man für Händels Gefühlskammerspiel-Oper „Orlando“ braucht, aus dem eigenen Ensemble auf die Reise ins Arien-Wunderland und rekrutiert auch die benötigte 30-köpfige, nur leicht barock aufgerüstete Musikertruppe aus der Sächsischen Staatskapelle. Unter Leitung des Briten Jonathan Darlington produziert die vor allem hochglanzpolierten Wohlklang mit breiten Tempi. Die Vorliebe für das Beinahe-Anhalten der Zeit, das Händel so meisterlich beherrscht, wenn er Trauer oder Melancholie in Töne setzt, ist hier aber nicht eingebettet in den sinnlichen Furor, der solche Inseln zu faszinierenden Momenten machen kann.
Pflichterfüllungsarien
Selbst die wenigen Bravour-Arien, mit denen sich vor allem der Titelheld ins Zeug legen kann, kommen in Dresden bei Christa Mayer zwar mit wohlklingendem Timbre, aber doch reichlich gedämpft über die Rampe. Ob nun Caroline Ulrich als Orlandos Geliebte Angelica, Gala El Hadidi als deren Favorit Medoro oder Barbara Senator als Schäferin Dorinda und Georg Zeppenfeld als spielführender Magier Zoroastro – sie alle erfüllen die Pflicht beim melodischen Fundament, fremdeln aber damit, ihre Koloraturchancen umzumünzen und den Funken überspringen zu lassen.
Edel, aber eher langweilig war leider nicht nur die Musik, sondern auch die Inszenierung. Obwohl man mit Andreas Kriegenburg einen längst auch in der Oper an der Spitze mitmischenden Schauspielregisseur das erste Mal nach Dresden eingeladen hatte. Bei seinen Schauspielproduktionen ist er sein eigener Bühnenbildner – in der Oper hat ihm Harald Thor einen in sich stimmigen Raum gebaut. Sieht aus wie ein leergeräumter Saal oder Salon, in dem vom Kronleuchter bis zu den Heizkörpern alles aus Holz ist, und hat die Funktion einer Guckkastenbühne für ein Kammerspiel. Dieser Raum scheint in einem penibel ausgemalten Kulissenwald zu schweben.
Für die Menschen in den ungefähr im Heute angesiedelten Kostümen von Andrea Schraad wird das zu einem zwar hochatmosphärischen, inhaltlich aber nur ungefähren Rahmen. Natürlich bietet es sich an, in Händels Zauber- und Ritteroper aus dem Jahre 1733 heute das Beziehungskammerspiel zu sehen, den Obsessionen in diesem Wer-liebt-wen-Spiel nachzuspüren und sowohl den Liebenden (Orlando liebt Angelica, die liebt Medoro) als auch den Enttäuschten (Angelica weiß, dass sie Orlando verletzt, Dorinda, dass sie bei ihm keine Chancen hat) gerecht zu werden.
Das hat Kriegenburg auch im Sinne. Er versucht es mit dem etwas in die Jahre gekommenen Regietheaterstandardrequisit fürs Unbehauste und fürs Fliehen; möbliert also den Raum mit einem ganzen Kofferlager. Er greift aber auch zu einem Spiel mit Tüchern und Bändern (wie man es aus seinen Schauspielarbeiten kennt). Und doch kommt er vom Wege ab und landet ausgerechnet in der Da-capo-Falle.
Er misstraut nämlich dem szenischen Potenzial der Wiederholungen und führt eine von Zenta Haerter extensiv und quer durchs moderne Ballett choreografierte Tänzertruppe von fünf Paaren ein. Diese fast dauerpräsente „Erklärertruppe“ illustriert, von gelungen bis platt, entfaltet dabei aber mehr Eigenleben, als zur szenischen Entwirrung der Gefühle geboten wäre. Zum echten Vergnügen fehlte in Dresden das gewisse Etwas. Auf der Bühne. Aber auch im Graben. Schade. JOACHIM LANGE
■ Nächste Vorstellungen: 6. und 10. März, 28. April