: Vergitterte Wahrnehmung
Der finnische Autor Kari Hotakainen stellt im Literaturhaus seinen Roman „Aus dem Leben eines unglücklichen Mannes“ vor
von Petra Schellen
Dies ist die Chronik einer Irr-Werdung. Der Bericht eines Mannes, der, wie so viele, auf ein komplexes Problem mit einer schlichten Lösung antworten möchte – und wenn er sie Kitt für Kitt aus der Realität herauskratzen muss! Denn es ist ein durchaus krankhafter Ehrgeiz, der Matti Virtanen – Frau und Tochter sind nach einem Faustschlag Mattis verschwunden – bewegt, endlich jenes Holzhäuschen kaufen zu wollen, das sich seine Frau während etlicher Jahre vergebens gewünscht hatte.
Eine Idee im Übrigen, die sich zu Mattis bisherigem Lebensstil durchaus konträr verhält, hat der brave Hausmann derart gravierende Entscheidungen doch bisher stets zu vermeiden gewusst; Renovierungsarbeiten waren ihm stets zuwider. Nein, ein Macho war er nie – wäre da nicht jener Abend gewesen, an dem ihm seine Frau all das zum Vorwurf machte, auf das er im Namen der Frauenbewegung so stolz gewesen war: Ein mumm-loser Weichling ohne eigene Ziele sei er, außer Kochen und Babywickeln interessiere ihn wohl nur wenig – Anschuldigungen, die den Softie zum ersten Faustschlag seines Lebens verleiteten, zerbrach dies doch brutal sein frauenfreundliches Gutmenschentum, das einen Gutteil seiner Identität ausgemacht hatte.
Und so sitzt er also da, sinnend über das, was zu tun sei, und die fixe Idee namens „Häuschen“ soll ihn fern halten von Trauer und Schuldgefühlen. Fortan beginnt er ein großes Bündel an Aktivitäten zu entfalten, die bei der Haussuche behilflich sein sollen. Fernab jeder Realität bewegen sich allerdings seine Preisvorstellungen, weshalb er sich genötigt sieht, nicht nur die aktuelle Wohnung samt Mobiliar zu verkaufen, sondern auch das Privatleben eines Maklers zwecks Erpressbarkeit in puncto Preisnachlass auszuforschen.
Weitere Ingredienzien seines Plans: Er filmt fremde Häuser, nimmt Gespräche auf fremden Terrassen auf, errechnet die durchschnittliche Laufzeit eines Rasenmähers im Eigenheim – kurz: entwickelt alle Kennzeichen eines Manischen, der sich vermeintlich solider Forschungsmethoden bedient, um sich dem Objekt seiner Begierde zu nähern. Dass er Umwege beschreitet und sich im Übrigen – durchaus irr – ein übers andere Mal mit den finnischen „Frontkämpfern“ des Zweiten Weltkriegs vergleicht, begreift er wohl nur bedingt.
Aus etlichen einzelnen Monologen der sich stetig vergrößernden Personnage hat der 1957 geborene, mehrfach preisgekrönten Hotakainen seinen höchst unterhaltsamen, humorvollen Roman gewoben, dessen Protagonist – ähnlich einer Fliege, die immer wieder gegen die geschlossene Fensterscheibe fliegt und sich doch auf dem richtigen Weg wähnt – unbeirrt an seiner Planung festhält und langsam alle anderen – Nachbarn, Frau, Makler – in seinen Wahnsinn hineinzieht. Wie Magnetspäne bewegen sich die Monologe der Figuren auf den Brennpunkt zu, vermehren sich hier und da, ohne dass man darob den Überblick verlöre.
Gänzlich eingesogen wird der Leser – anders als bei Patricia Highsmith etwa – allerdings nicht in die absurde Logik des Protagonisten. Permanent verwunderlich ist eher die harmlose Gewissheit, die er bezüglich des Gelingens seines Plans an den Tag legt; noch als er wegen Kidnappings mit einem Bein im Gefängnis steht, versteht er nicht, wieso der von ihm überrumpelte und gefesselte alte Herr einen „so vorteilhaften Hauskaufvertrag nicht unterschreiben will“. Und so bleibt Matti Virtanen – nur temporär äußere Wandlung suggerierend – der, der er vor der Trennung gewesen ist: ein gänzlich in sich gefangener Theoretiker, der mit einer nur bedingt realistischen Idee auf die Welt reagiert, ohne jenes merkwürdige Knirschen zu bemerken, das sich zwischen ihn und die Verwirklichung seiner Pläne schiebt. Ein Modell von Welt- und Haus-Aneignung hat er sich zurechtgezimmert, das mit realen Reaktionen im Hier und Jetzt nur geringfügig kompatibel ist.
Absurderweise ist dabei einzig seine Frau bereit, seinem Traum zu folgen und das Haus zumindest anzusehen. Doch Matti scheitert, weil er nicht nur juristische Komponenten, sondern auch Befindlichkeit und konträre Willensäußerungen anderer Personen nicht bedachte und gibt so letztlich das Bild eines eigenwilligen, in seinen eigenen Ideen erstarrten Autisten ab, der auch dann noch über das Gelingen seines Nudelauflaufs nachdenkt, als in Hörweite schon die berühmten Handschellen klicken. Ein Puzzleteilchen ist er geblieben, das einfach nicht ganz passt in diese Welt. Und dem außer seiner Frau niemand Toleranz entgegenzubringen gewillt ist. Die wird ihn dann allerdings nur noch im Gefängnis besuchen können.
Kari Hotakainen: „Aus dem Leben eines unglücklichen Mannes“. München 2005, 325 S., 13 Euro Lesung: Di, 15.11., 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38. Am selben Abend liest der finnlandschwedische Autor Kjell Westö