: Demnächst in Globalgröße
Sind sie die neuen John, Paul, George und Ringo? Bei Franz Ferdinand im Tempodrom war einiges von der Ekstase zu spüren, mit der die Band von ihrem jungen, geldsorgenfreien Publikum gefeiert wird – auch wenn gegen Ende der Punk dominierte
VON TOBIAS RAPP
Von oben sah es aus wie ein lebender Nudelauflauf, wenn man am Dienstagabend beim Konzert von Franz Ferdinand im Tempodrom auf den Innenraum hinabschaute und die Menschen sah, die sich dort drängelten, vor und zurück wogten, die Arme in die Luft rissen sowie auf und nieder hüpften. Ab und an wurde jemand herausgezogen, so mancher auch mehrmals, was dafür sprach, dass das Gedrängel vor der Bühne nicht so unangenehm gewesen sein kann, wie es vom Rang aus wirkte.
Auch ohnmächtige Mädchen gab es keine. Diejenigen, die sich von den Ordnern aus der Menge helfen ließen, rannten sofort weg, um sich wieder nach vorne zu drängeln – was in Anbetracht der sozialen Zusammensetzung des Publikums auch nicht weiter verwunderte: Denn die vielen tausend Menschen, die das Tempodrom bis unters Dach ausverkauft hatten, kann man sich als den feuchten Traum eines jeden Zielgruppen-Managers vorstellen. Jung, geldsorgenfrei, gutaussehend, aus bildungsnahen Schichten, höflich, kulturinteressiert und stilbewusst.
So ähnlich wie Franz Ferdinand eben auch – diese vier ehemaligen Kunststudenten aus Glasgow, die es mit ihrer Mischung aus Postpunk-Einflüssen, dem Tragen schöner Schuhe, Germanophilie und zwei Alben voller Drei-Minuten-Hits geschafft haben, als eine der wenigen britischen Bands seit langer Zeit in die amerikanischen Top Ten zu kommen. Ihrem Weg zu Coldplay-artiger Globalgröße dürfte wenig entgegenstehen – was auch daran liegt, dass sie tatsächlich eine fantastische Live-Band sind.
Wer ein tightes Postpunk-Set erwartet hatte, sah sich allerdings rasch getäuscht. Zwar steht ihr vor einigen Monaten erschienenes zweites Album „You Could Have It So Much Better“ noch deutlich in der Tradition dieser Spielart britischer Frühachtzigermusik, ihrer Kunst des scharfen Gitarrenriffs und der nasal herausgesungen Arroganz. Doch auf der hübsch in den Franz-Ferdinand-Farben rot-weiß-schwarz gehaltenen Bühne, auf der sich ein rundliches, an alte Fernsehstudio-Einrichtungen erinnerndes Podest entlangzog, stellte sich das ganz anders dar.
Beatlesmäßig fing es an, um sich im Laufe der knapp siebzig Minuten dann immer sägezahnartiger in einen verschepperten Punksound hineinzusteigern, so dass man sich am Schluss des Gefühls nicht erwehren konnte, hier würden nicht mehr britische Postpunkbands wie Gang of Four Pate stehen, sondern die Dead Kennedys. Besser angezogen freilich. Aber tight waren am Ende nur noch die Hosen der Bandmitglieder.
Dass von Boxentürmen gesprungen wurde, hätte man nicht erwartet. Und nicht nur das: Da wurde der Schlagzeuger Paul Thomson von zwei Roadies eingekreist, die gemeinsam mit ihm auf die Trommeln eindroschen, während der Sänger Alex Kapranos auf den Knien in einer Bühnenecke herumrutschte. Hauen sie jetzt ihre Instrumente kaputt?, fragte man sich, um dann beruhigt festzustellen, dass die Gesten abgeschmackter Rockrebellion dann eben doch nicht zum Franz-Ferdinand-Repertoire gehören. Stattdessen nahmen die vier sich an den Händen und verbeugten sich höflich.
Tatsächlich erinnerte einiges von Franz Ferdinand an die Beatles: nicht nur das einheitliche Erscheinungsbild der Band – Schuhe, Hose, Hemd, Frisur – die leicht anchoreografierten Tanzschritte und gut ein Drittel der Stücke („Eleanor Put Your Boots On“ ist so was von „Rubber Soul“, da können Oasis einpacken): sie haben auch die klassische Rollenaufteilung von John, Paul, George und Ringo übernommen. Kapranos und Nick McCarty, der andere Gitarrist, bilden offensichtlich das Zentrum der Band, fortwährend spielen sie sich gegenseitig zu oder bewegen sich parallel. Der Bassist Bob Hardy bleibt am Rande, ihn trifft das Spotlight immer dann, wenn die Gitarren mal aussetzen – und dann gibt es eben noch Thomson, der das Ganze mit einem bierkastengeraden Backbeat zusammenhält. Dass die Finessen der Franz Ferdinand’schen Klangarchitektur in diesem bedingungslosen Willen zur Schlagdrauf-und-Schluss-Haltung vor den Bus liefen, störte so auch nicht wirklich, im Gegenteil: Es machte die eigentliche Qualität des Auftritts aus.