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Archiv-Artikel

Ökonomischer Rollenwechsel

GELD Weil viele Männer arbeitslos werden, müssen Frauen die Familie ernähren. Das verändert die Beziehungen: Männer fühlen sich weniger wert, Frauen übernehmen die Führungsrolle. Die Hausarbeit bleibt aber trotzdem noch an ihnen kleben

„Der männliche Ernährer ist nicht mehr die Regel“

CHRISTINA KLENNER, FORSCHERIN

VON SIMONE SCHMOLLACK

BERLIN taz | Mal brauchte die Kleine neue Schuhe, dann die große Tochter teure Bücher für die Schule. Urlaub war generell nicht drin – jahrelang verbrachte die vierköpfige Berliner Familie den Sommer in der Stadt.

Judith und Marco N. lebten fast fünfzehn Jahre von einem einzigen Gehalt, von Judiths. Die 55-jährige Historikerin arbeitet Vollzeit in einem Museum, dafür bekommt sie monatlich rund 2.000 Euro netto. Bis vor anderthalb Jahren, als ihr Mann endlich eine feste Stelle im öffentlichen Dienst fand, war der Grafikdesigner das, was man einen Zuverdiener nennt. Das ist ungewöhnlich, in Deutschland ist das eine weitgehend weibliche Rolle.

Allerdings ändert sich das gerade: Wirtschaftskrise und steigende Arbeitslosigkeit von Männern – vor allem in Industrieberufen – sorgen dafür, dass inzwischen in jedem fünften Mehrpersonenhaushalt die Frauen die Haupternährerinnen sind. Das hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einer Studie herausgefunden. Grund genug für die Arbeitnehmervertretung, gemeinsam mit dem Familienministerium am heutigen Mittwoch in Berlin darüber zu debattieren.

Christina Klenner, Referatsleiterin für Frauen und Geschlechterforschung am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, sieht in dem Phänomen einen Wandel der Geschlechterverhältnisse: „Der männliche Familienernährer ist nicht mehr in jedem Fall die Regel.“ Bei Familie N. war der ökonomische „Rollenwechsel“ nicht geplant. „Ich hätte gern weniger gearbeitet“, sagt Judith N.: „Darüber hinaus hatte ich stets das Gefühl, dass die gesamte Verantwortung allein auf meinen Schultern lastet.“

Vor sechzehn Jahren haben Judith und Marco N. geheiratet, ein Jahr zuvor war der Peruaner nach Deutschland gekommen. Weder er noch seine Frau hätten jemals geglaubt, dass der Mann hier beruflich nicht Fuß fasse.

Wie verändert diese Entwicklung die Beziehungen? „Am Anfang dachte ich noch: Ist doch egal, wer das Geld nach Hause bringt“, sagt Judith N. „Heute weiß ich: Das stimmt nicht.“

Der britische Wirtschaftswissenschaftler Andrew Oswald fand heraus, dass Beziehungen, bei denen die Frau die finanzielle Führung übernimmt, schneller zerbrechen als Verbindungen, in denen der Mann der Hauptverdiener ist oder beide etwa gleich viel zum Familieneinkommen beitragen. „Ein Mann, der sich nicht selbst ernähren kann, ist für viele Frauen unattraktiv“, erfährt auch Jutta Resch-Treuwerth. Als Ehe- und Familienberaterin in Brandenburg trifft sie viele Frauen und Männer, die sich in den „richtigen“ Partner verlieben wollen. Und dazu gehört heute in jedem Fall die ökonomische Unabhängigkeit.

In Ostdeutschland verdienen heute laut WSI 15 Prozent der Frauen in Paarhaushalten das Geld, in Westdeutschland sind es knapp 10 Prozent. Während Frauen in den neuen Bundesländern sich laut DGB-Studie eher mit der Ernährerinnenrolle identifizieren können, haben es Frauen in den alten Bundesländern schwerer: Sie steigen wegen der Kinder häufiger und länger aus dem Beruf aus oder arbeiten Teilzeit.

Judith und Marco N. empfinden ihre Beziehung als egalitär. Doch die Machtfrage stellte sich auch bei ihnen. „Ich habe entschieden, was gekauft wird“, sagt Judith N.: „Für meinen Mann war das nicht leicht.“ Geld werde mit Macht gleichgesetzt, sagt der Psychologe und Buchautor Wolfgang Krüger: „Wird es weggenommen, fühlt sich der Betroffene seiner Macht beraubt.“

Frauen geraten unfreiwillig in die Rolle der Familienernährerin, hat die DGB-Studie ergeben. „Unvorbereitet aus der Not heraus“, sagt Christina Klenner. Trotz der neuen Rollenverteilung lasten auf Frauen nach wie vor die Haushaltspflichten. Das hat auch Judith N. erlebt: „Wenn ich nach Hause kam, konnte ich meine Beine nicht einfach hochlegen.“ In der DGB-Studie heißt es: „Familienernährerinnen wünschen sich vor allem ein neues familiäres Leitbild.“

Wie gehen die Männer damit um? Als Philipp Schwarz, 39, heute Arzt in Dresden, vor sieben Jahren seine Frau kennen lernte, studierte er noch. Seine Freundin war damals bereits berufstätig. Sie lud ihn oft zum Essen ein und bezahlte hauptsächlich die Urlaube. Das störte beide nicht, im Gegenteil. „Ich finde es gut, wenn eine Frau sagt, wo es langgeht“, sagt Philipp Schwarz.

Doch das änderte sich – als er seine erste feste Stelle und sie ein Kind bekam. „Plötzlich kamen Seiten zum Vorschein, die wir an uns nicht kannten.“ Jetzt nimmt sie sich zurück und er bestimmt, was gekauft wird und wohin es in den Urlaub geht. Das Paar richtete sich in einem weitgehend traditionellen Rollenverhalten ein. Das irritierte ihn zunächst, sagt er. Und heute? Philipp Schwarz sagt: „Heute finde ich es ganz normal.“