: Die mit Ziegenkacke gepflasterte Heimat
LESERBRIEFE JournalistInnen mit dem vermeintlich gewissen „Hintergrund“ bekommen von ihren Fans kistenweise Hass zugeschickt. Den verlesen sie als Poesie und feiern obendrauf noch eine Gala. Prost!
VON CANSET IÇPINAR
„Schön, dass Sie zwischen zwei Ehrenmorden noch Zeit finden, eine Kolumne zu schreiben“. Nein, das ist kein frei ausgedachter Veranstaltungstitel, es sind wahrlich geschriebene Worte eines Lesers, adressiert an taz-Redakteur Deniz Yücel, der diesen erstmals auf der Veranstaltung „Hate Poetry“ vor Publikum vorgetragen hat. So wie der Name bereits verrät, geht es in dieser Veranstaltung um eine Literatur der besonderen Art: hasserfüllte Leserbriefe. An und für sich keine spannende Sache. Denn täglich adressieren mehr wütende als wohlwollende LeserInnen ihre geistigen Ergüsse als postalische Zuschriften oder in Kommentarspalten im Netz an JournalistInnen. Doch jene mit dem vermeintlich gewissen „Hintergrund“ bekommen zusätzlich kistenweise Post, voll mit rassistischen, sexistischen oder antisemitischen Äußerungen, wie etwa diese hier an Mely Kiyak von der Frankfurter Rundschau: „Wenn sich diese anatolische Eselhirtin hier unter uns unwohl fühlt, warum verfatzt sie sich dann nicht in ihre mit Ziegenkacke gepflasterte Heimat?“
Tränen vor Lachen
Kiyak hatte gemeinsam mit Deniz Yücel und Yassin Musharbash (Zeit-Redakteur) schon bei der ersten „Hate Poetry“, die vor genau einem Jahr im taz-Café stattfand, ihre Leserbriefe vorgetragen. Es sollte nicht die letzte Show bleiben, denn das Publikum – in Tränen vor Lachen über Absurditäten der Zuschriften wie etwa „Schade, dass ich kein taz-Abo habe. Würde es so gerne abbestellen“ – verlangte Zugaben. So tourte die Gruppe durch Berlin und den Rest der Bundesrepublik mit Special Guests wie dem Comedian Fatih Cevikoğlu und der Zeit-Redakteurin Özlem Topcu, wobei Letztere inzwischen als „Beitragskandidatin“ tituliert zu einem assoziierten Mitglied der „Hate Poetry“-Bühnenbesetzung avanciert ist.
Der Erfolg ist dem Konzept der Veranstaltung geschuldet: In unterschiedlichen Kategorien wie „Große Oper“ oder „Kurz und schmutzig“ treten die JournalistInnen mit ihrer Fanpost in einem bitterfröhlichen Wettbewerb gegeneinander an. Interessant ist, dass die meisten Leserbriefe aus monate-, gar jahrelanger Korrespondenz resultieren. Die Sieger der einzelnen Runden werden anhand des Publikumsapplauses, gemessen vom Applausometer, in der Person der Moderatorin Doris Akrap (taz), ermittelt. Und wie es sich für einen Wettbewerb gehört, gibt es natürlich auch Preise zu gewinnen: kitschige Plastikbäume oder Bilder vom aktuellen Bundespräsidenten.
Gewaltandrohungen
Die Idee zur Veranstaltung hatte die Journalistin Ebru Tasdemir, der auffiel, wie viele Zuschriften dieser Art die KollegInnen mit dem sogenannten Migrationshintergrund erhielten. Sie fand, es sei an der Zeit, diese Briefe, die nicht selten Drohungen gegen die körperliche Unversehrtheit der Adressaten enthielten, öffentlich zu machen. Natürlich sei es nichts Neues, Leserbriefe vorzulesen, aber bei der „Hate Poetry“ ginge es eben nicht um irgendwelche Briefe, über die man sich in der Redaktion mal zehn Minuten ärgert, sondern um solche, die Beleidigungen aufgrund der eigenen Herkunft enthalten. „Zum einen ist es ein befreiender Akt, nicht mehr allein damit zu sein, zum anderen wird das Publikum für das Thema sensibilisiert“, so Tasdemir. In der Tat kann man sich als LeserIn kaum vorstellen, welches Ausmaß diese Briefe haben können. So blieben schon nicht wenigen, vor allem älteren Zuschauern, das Lachen im Halse stecken bei Sätzen wie: „Wo ist denn der NSU, wenn man ihn braucht? Nette Dönerverkäufer abknallen aber Deniz Yücel stehen lassen?“
Schluss mit lustig
Bei der „Hate Poetry“ geht es nicht nur um eine lustige Show oder darum, offensichtliche Nazis zu enttarnen, das wäre ja eher witzlos. Es geht darum, Anfeindungen von solchen, die sich für aufgeklärt, liberal, gar „politisch Mitte-links“ halten, zu demaskieren. JournalistInnen mit nicht deutsch klingenden Namen oder äußerem Erscheinungsbild werden häufig auf ebendiese reduziert. Sie werden nicht wegen ihrer Arbeit kritisiert, sondern als Repräsentant einer bestimmten Gruppe betrachtet. Das wäre ja auch zu schön, wenn die Hate-Poeten zwischen dem Verfassen von zwei Drohbriefen noch die Zeit fänden, sich mit dem journalistischen Inhalt ernsthaft zu beschäftigen.